Mittwoch, 19. Oktober 2011

Wenn es sein muss


Künstlerische Pausen gehören dazu. Selbst wenn man sich "seine Kunst" leisten kann oder zumindest in der Grundabsicherung so sicher lebt, dass man es könnte, muss man es nicht tun.
Für mich kommt Kunst von "machen müssen". Wenn ich den großen Drang habe meine Kunst zu präsentieren, dann setzt man Energien frei, um dies zu verwirklichen. Ich habe ca. 1,5 Jahre in Berlin ein improvisiertes Klavierkonzert gegeben. Ein Mal im Monat spielte ich das, was ich "meine Kunst" nenne. Das, worin ich mich wiederfinde und verlieren will, weil es meins ist. Seit längerer Zeit nun pausiere ich. Einerseits, weil der Ort, an dem ich spielte, geschlossen und für mich nach der Zeit meiner Konzerte auch verbrannt ist. Es war nie hundert Prozent befriedigend dort zu spielen. Andererseits tut mir die Pause gut, weil es zur Zeit nicht ansteht ein improvisiertes Konzert zu spielen. Mit anderen Worten: Ich muss gerade nicht diese Art von Kunst machen. Ich habe keinen Drang. Und was nützt es zu spielen, wenn man ohne Bedürfnis auf Belanglosigkeit oder gar Einfallslosigkeit verfällt. Die Inspiration dazu ist nicht da und wird genau in solchen Phasen gesammelt. Bis da wieder diese Unruhe ist, dieses Bedürfnis, sich mitzuteilen auf dem Instrument. Und dann werden es wieder ganz andere Konzerte, weil man in der Zwischenzeit dazu gelernt und dazu gelebt hat. Vielleicht hat sich der Stil weiterentwickelt. Vielleicht ist es genauso.

Wichtig ist, dass man sich nicht bremst, wenn man Kunst machen muss. Wichtig ist auch, lieber eine Pause zu machen und Inspiration zu schöpfen, als belanglos an der Oberfläche zu bleiben, nur damit man nicht aus dem Gedächtnis der Menschen verschwindet. Eines ist sicher, die Welt verändert sich und man selbst mit ihr. Daher werden die zukünftigen Konzerte, egal wann ich sie spielen werde, ganz anders werden. Sie sind eben improvisiert und damit in höchstem Maße ich selbst.

Sonntag, 9. Oktober 2011

Der Ort für die Kunst

Das Theater ohne Probe spielt in einer Neuköllner Kirche Improtheater. Richtig zufrieden sind die Spieler damit nicht. Kann es am Ort liegen?

Da Kunst immer mit dem Ort in Zusammenhang als Kunst gesehen wird, hat es Theater in einem derart mit Bedeutung aufgeladenen Ort wie die Kirche schwer zur Geltung kommen zu können. Der Ort strahlt zu sehr mit seiner Funktion und seinen Merkmalen. Ein Podest, und sei es ein Altar, kann nur dann zur Bühne werden, wenn es so fokussiert werden kann, dass der Zuschauer ein weniger mehr vergisst, wo er sich befindet. Verschiedene Erfahrungen mit dem Ort Kirche spielen ebenfalls eine Rolle. Menschen, die aus kultur- und kunsthistorischen Motiven in Kirchen gehen, haben es sicherlich noch leichter in der Theaterrezeption, als Gläubige, für die dieser Ort an ganz andere Erwartungen geknüpft ist. Auch wenn sie vorgeben sich ja heimisch oder zu mindest wohl fühlen in dieser Umgebung, werden sie immer ihre Erfahrungen mit dem Gotteshaus auf die Theatererfahrung legen. Gegen die Bedeutung dieses Ortes anzuspielen ist schwer. Entweder man bedient den Rahmen und damit die Erwartungen oder man muss über eine andere Bühne nachdenken. Man bedenke, dass es Theaterpublikum gibt, dass jedoch nicht in eine Kirche geht. Aus welchen Gründen auch immer.

Das Theater ohne Probe spielt jeden ersten Freitag im Monat in der  Martin-Luther-Kirche Neukölln, Fuldastraße 50, 12045 Berlin. 

Samstag, 8. Oktober 2011

Vokabeltraining - Kommunikation zwischen Improspieler und Musiker

Laut Systemtheorie existieren soziale Systeme nur durch Kommunikation. Heißt: Wer nicht mit einander spricht, ob verbal oder nonverbal, hat keine Beziehung zu einander. Sicherlich etwas herunter gebrochen, doch ganz brauchbar im Ansatz. Probleme in einer zwischenmenschlichen Beziehung entstehen in den meisten Fällen auf Grund fehlender oder mangelhafter Kommunikation der Beteiligten. Und selbst, wenn miteinander gesprochen wird, heißt es noch lange nicht, dass das Gegenüber versteht, was gesagt wurde. Wichtig ist dabei eine gemeinsame Sprache zu sprechen oder sich auf ein gemeinsames Vokabular zu einigen.

In der Kommunikation zwischen Improspielern und Musikern herrscht oft eine Schieflage, weil Improspieler eben nicht die Vokabeln der Musik kennen. Daher rühren auch Aussagen, wie "schöne Musik", die so unkonkret sind, dass sie schon fast beleidigen, obwohl gut gemeint. Ich möchte eine kleine Hilfe geben, welche Vokabeln für den Improspieler hilfreich sind, um auszudrücken, was sie von ihrem Musiker wollen. Diese Beschreibungshilfen kommen zum Großteil aus der Musikanalyse oder Spielanweisungen und betreffen vor allem Tempobezeichnungen, Charakter und Artikulation. Für viele schon in der Schule ein Graus, bedient sich die Musikanalyse jedoch einem einfachen Mittel: der Metapher. Viele musikalische Zusammenhänge werden nicht nur mit Fachtermini erläutert, sondern gerade in der Musikwirkung verwendet man Bilder. Ich werde versuchen neben Fachbegriffen auch Anregungen für Bilder zu geben, die eine Kommunikation zwischen Improspielern und Musikern vereinfachen können. Jedoch bleibt es immer dem sozialen System überlassen, welche Sprache gemeinsam gesprochen wird. Daher ist es immer hilfreich gemeinsame Vokabeln zu entwickeln. Die erhöhen letztlich auch das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Tempo - Tempobezeichungen

In der klassischen Musik gibt es italienische Begriffe für Tempoangaben. Da dies nicht sehr praktikabel ist für Nicht-Musiker, gebe ich Anregungen in deutscher Sprache. Man sieht sehr gut, wie bildhaft das sein kann. Die Auflistung beginnt bei einem langsamen Tempo und steigert sich zu einem schnellen

breit, schwer, langsam, ruhig, gehend, schreitend, mäßig, schnell, munter, lebhaft, lebendig, sehr schnell, äußerst schnell. rasend, rasant

Ergänzend gibt es Charakterbezeichnungen, die auf das Tempo bezogen werden können:

lethargisch, phlegmatisch, lieblich, gesanglich, getragen, geistvoll, mit Ausdruck, mit Pathos, majestätisch, marschierend, zart, mit Liebe, heiter, schwungvoll, feurig, mit Leidenschaft, fröhlich, hektisch, hysterisch

In der moderneren Musik wird das Tempo nicht mehr mit italienischen Begriffen angegeben. Man führte die "Schläge pro Minute" bzw. "Beats per minute", abgekürzt bpm, ein. Während die althergebrachten Tempoangaben eher Gefühlssache und analog daher kommen, ist die Zahl der bpm eine digitale Variante. Auch wenn niemand ohne Metronom in der Lage sein dürfte, exakt 127 bpm zu spielen, so ist eine Zahl dennoch hilfreich, wenn man keine der oben genannten Begriffe verwenden möchte. Ich lasse mir in Improvisationen auch gern vom Publikum eine Zahl zwischen 60 und 150 geben und meine damit bpm, ohne dass ich dies vor der Abfrage erkläre. Ich treffe dann zwar auch nicht die 78 bpm, jedoch weiß ich, dass es ein langsames Stück wird.

Wie also mit bpm umgehen?

Auf der Website http://a.bestmetronome.com/ gibt es eine Online-Variante eines Taktgebers. Zu hören sind die Grundschläge des Rhythmus, das Metrum. In einem Techno-Rhythmus ist das Metrum durch die Bass-Drum hörbar gemacht und verstärkt.

Probiert aus, welche Zahlen welches Tempo bedeuten. In einem Keyboard oder elektronischen Piano ist meist ein Metronom eingebaut.


Beispiele:


Liebesballade: ca. 60-90 bpm
ruhiger Bossa Nova: ca. 105-115 bpm
tanzbares Lied: ca. 120-130 bpm
schneller Rocksong: ca. 140-160 bpm
schneller Swing, Bepop: ca. 160-220 bpm


Jede Musik hat ihren Charakter, jede Musik macht Bilder im Kopf.

Wenn es nicht nur um das Tempo eines Liedes gehen soll, bedient Euch dessen, was Ihr als Improspieler ständig tut: Assoziationen. Sie sind Bilder in unserem Kopf. Was stellt Ihr Euch vor, wenn es ein getragener, langsamer Song werden soll? Beschreibt das Bild mit Euren eigenen Worten und lasst das Bild vom Musiker mit seinen Worten ergänzen, um heraus zu finden, ob er verstanden hat, was Du meinst. Malt zusammen das Bild aus. Es wird ja auch ein gemeinsamer Song, Eure gemeinsame Improvisation, also auch Eure gemeinsame Assoziation, in die jeder seine mit dazu tut. Stellt Vergleiche an!

Beispiele

Die Strophe ist wie ein alter König, der auf seinem Thron sitzt und gütig auf sein Volk schaut. Im Refrain versucht sein Gegenspieler ihn zu vergiften. Am Ende stirbt der König einen langen qualvollen Tod. Der Gegenspieler triumphiert und feiert mit seinem Gefolge.

Das Lied ist wie ein warmer Sommerwind auf einem weiten Feld. Die Sonne scheint dir mitten ins Gesicht. Du bist glücklich und könntes springen und die Welt umarmen vor Liebe.
Ein betrunkener turkelt die Straße entlang und sucht seinen Wohnungsschlüssel. Dabei erinnert er sich an einen Abend in einem verrauchten Jazzkeller.

Das absolut Böse spricht aus Dir und Deiner verzerrten elektrischen Gitarre. Alles sind schwarz gekleidet und der Rhythmus des Songs hämmert gnadenlos. Düster und kraftvoll klingt der Teppich auf dem der wütende Gesang zu hören ist.

Man muss sicherlich nicht gleich eine ganze Geschichte erzählen. Immerhin sollte der Musiker auch seinen Freiraum behalten, den er in der Improvisation assoziiert und in Musik umsetzt. Jedoch helfen bildhafte Vokabeln eine gemeinsame Vorstellung von der Musik zu bekommen. 

Strophe, Refrain, Riff, Lick....

Eine sich wiederholende Folge von Harmonien bzw. Akkorden, worauf eine Melodie gesungen werden kann, kann wie folgt benannt werden:

Turn Around, Schleife, musikalischer Teil/Part, Kadenz

Eine längere wieder erkennbare Melodielinie kann Thema oder Hookline genannt werden. Sie ist charakteristisch für den Song und macht meistens den Refrain aus.

Kleinere Melodielinien können Linie, Motiv, Lick oder Riff genannt werden. Meist sind dies wiederholte Teile, die in der Begleitung stecken. Eines der berühmtesten Riffs kennt man aus "Smoke on the water" von Deep Purple. Rockmusik arbeitet sehr viel mit Riffs. Ob im Bass oder in den Gitarren.

Strophe, Bridge und Refrain sind verschiedene musikalische Teile eines Liedes, die oft auch verschiedene Harmonien haben und sich daher von ein ander absetzen. Das muss aber nicht die Regel sein.

Musik in der Szene

Die Bildhaftigkeit in der Kommunikation bleibt auch hier ein guter Weg. Drei Beispiele für Musik in Szenen und ihre Bezeichung:

empathisch: Musik vermittelt Gefühle der Figuren/Szene
kontrapunktisch: Musik setzt Gegensatz zur Szene oder einzelnen Figuren
didaktisch: Musik suggeriert Distanz/Ironie
Mickey Mousing: Musik kommentiert, zeichnet und untermalt Handlungen/Figuren Comic-haft


Diese Auflistung ist sicher nicht vollständig und vielleicht benutzt Ihr andere Vokabeln. Gern könnt Ihr die Kommentarfunktion zum Ergänzen benutzen. Sie sollen anregen, miteinander über die Musik zu sprechen und konkreter werden zu können in Feedbacks oder Anweisungen. Das wichtigste am gemeinsamen Improvisieren ist und bleibt die Kommunikation. Redet miteinander über das Reden mit einander!



Literatur/Links:


http://de.wikipedia.org/wiki/Tempobezeichnungen#Gebr.C3.A4uchliche_Tempoangaben
http://www.bestmetronome.com
http://de.wikipedia.org/wiki/Hookline

http://members.chello.at/suntinger/pdf/Filmanalyse/Vokabular%20Filmanalyse.pdf
http://www.so-seidel.de/ANALYSE/formulierung.pdf

Montag, 3. Oktober 2011

Tiefkühlpizza oder Sterneküche - Der Mut zum Enttäuschen

Der Mensch kategorisiert gern. Auch in der Theorie wird Improvisation gern klassifiziert und in Schubladen gesteckt. Fülle ich nur einen Rahmen, erschaffe ich den Rahmen im Augenblick mit, bin ich wirklich völlig frei? Fritz Hauser schreibt in seinem Aufsatz "Fragen über Fragen" über Improvisation:

"Gold oder Sch... [...] das ist der Preis, den man dafür bezahlt, dass man sich nicht im tradierten Formen, fixierten Abläufen und vorgeschriebener Gestaltung verbündet." (S.31)

Als Improvisator wird einem oft nachgesagt, man ist ein Mensch des Risikos. Man riskiert etwas. Man riskiert, dass etwas schief gehen kann, nicht zündet, funktioniert. Aber was heißt das? Dem Publikum gerecht werden? Woher soll man wissen, was das Publikum erwartet? Klar, man kann sie fragen. Aber wo bleibt dann das Risiko? Ich möchte ja riskieren. Ich würde es jedoch anders formulieren:

Der Improvisateur hat im besten Fall Mut. Und mutig soll er seine im Moment entstehende Kunst einem Publikum präsentieren ohne Angst vor Enttäuschung. Der Mut zum Enttäuschen ist der Schlüssel zu einer freieren Improvisation.

Und doch sortiert man Improvisation in Kategorien. Der Mensch braucht diese Ordnung des eigentlich nicht Sortierbaren. Es gab schon viele Versuche, aber Hauser schafft es die Kategorien in einem alltäglichen Bild zu verdeutlichen: Kochen und Essen.

So erläutert er die unterschiedlichen Herangehensweisen an Stegreif-Kunst wie folgt:

  1. "Improvisation auf simpelster Stufe: Der Griff zur Fertigpizza. Damit ist zwar der Hunger gestillt, das Essvergnügen allerdings nicht hochrangig." 
  2. "Der Griff zur Fertigsauce, die dann durch leichte Manipulation (Gewürz, Kräuter, Rahm, Alkohol...) verfeinert wird. Ein immerhin schon ansatzweise kreativer Akt."
  3. "Herausfordernder dann die ungewürzte Sauce, die persönlicher Gestaltung bedarf. Zwar im Ansatz geschmacklich festgelegt, aber durchaus gestaltbar."
  4. "Einkauf der Zutaten und die Fertigung dieser Sauce nach eigenem Rezept."
  5. "Jetzt kommt die eigene Kreativität zum Zuge und es beginnt spannend zu werden: der Gang zum Markt ohne konkrete Kochidee, die Inspiration hervorgerufen durch das Angebot."
  6. "Dann die echte Herausforderung an spontane Kreativität: der Kühl- und Küchenschrankinhalt bestimmt die Ausgangslage, man improvisiert mit dem, was man vorfindet."
  7. "Als Höhepunkt die Freie Improvisation: Es klingtelt, die Gäste treffen ein, du hast die Einladung vergessen und den Einkauf verpasst, nichts ist da, außer einem riesigen Albtraumgefühl. Du bittest trotzdem frohgemut herein und erzählst der hungrigen Schar von Gerüchen und Geschmäckern, von knusprigen und sanften Konsistenzen, von Verbindungen und Ergänzungen. Du schwärmst von Speise- und Getränkefolgen, die sich hochschaukeln zum einmaligen Genuss und beschreibst die Glücksgefühle, die sich im Körper und in der Seele ausbreiten. Und wenn der Applaus sich gelegt hat, sind die Teller immer noch leer, aber die Erinnerung schön." (S. 32-33)
 Wo finden sich Improtheater, Langform und Theatersport wieder? Geben wir dem Publikum die Tiefkühlpizza oder die Vorstellung eines der besten Gängemenus, das sie in diesem Moment hätten erleben können? Wo lässt man sich einsortieren? Und reicht manchmal nicht einfach eine Fertigsauce aus, die ihren Zweck erfüllt?

Wollen wir also Spitzenkoch werden oder solide satt machen? Mache ich künstlerische Hausmannskost? Und wer bestimmt das überhaupt? Ich bin sehr zufrieden, wenn es geschmeckt hat und ich satt geworden bin. Aber ich lasse mich gern in die Welt der Sterneküche entführen und erzähle noch lange von dem herrlichen Menu, das mir geboten wurde. Schwierig wird es nur dann, wenn wir Instantgerichte anbieten, aber sie unter die silberne Glocke eines der nobelsten Restaurants der Stadt stecken. Man kann versuchen in die obersten Gourmetregionen vorzudringen. Aber man muss sich eingestehen, dass es manchmal nur zum Sattwerden gereicht hat. Solange man dies einschätzen kann, läuft man nicht Gefahr eine Mogelpackung anzubieten. Wir müssen uns eingestehen, dass man eben manchmal nicht aus Scheiße Gold machen konnte. Aber manchmal kann man aus wenig, wenigstens noch etwas mehr machen. Ob es Gold wird, kann man getrost dem Zuhörer überlassen. Doch diese Gelassenheit gilt es zu erreichen.

Guten Appetit! 

Literatur