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Samstag, 30. März 2013

Zimmer dir 'nen Soundtrack - Filmmusik für Dummies

Seit Jahren ist ein Trend in Hollywood, vor allem bei epischen Filmen, wie Herr der Ringe, Batman, Gladiator, Fluch der Karibik, Inception oder Snow White and the Huntsman zu beobachten. Komponisten sind Hans Zimmer, James Horner, James Newton Howard und viele andere, die eines verbindet: Ihre Liebe zum großen Orchester und dem Leitmotiv. Jenes Stück Musik, dass uns den ganzen Film über begleitet. Mal dramatisch und groß, mal zart und im Hintergrund. Musiker, wie Richard Wagner oder Hector Berlioz sind schon vor einigen Jahrzehnten dafür bekannt gewesen, diese Technik in ihren Werken zu nutzen. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Man nehme eine kleine Melodie und lasse sie immer wieder auftauchen und eben "leiten". Wer kennt nicht die Melodie von "Herr der Ringe" oder "Starwars"? Diese Technik wird nach wie vor in Filmen genutzt. Und mehr noch: Das Motiv wird mit einem großen Orchester quasi aufgepumpt. Viele Streicher, Bläser kombiniert mit Schlagwerk und Chören sind in Mittelalter-Filmen, wie in Phantasy-Streifen zu hören. Ausschlaggebend für den Artikel ist dieses Video mit Hans Zimmer auf youtube. Er spricht darin über sein Verständnis von Harmonik. Seine Grundthese ist: Lass alles in der Schwebe, sei nicht eindeutig in den Akkorden und mache bewusst Fehler, die in der klassischen Harmonielehre verpönt sind. Am Ende des Artikels soll das durch das Austauschen von Akkorden verdeutlicht werden.


Ich möchte versuchen die Analyse so zu machen, dass man sie als Laie und als Musiker versteht. Das wird sicher ein paar Begriffsschwierigkeiten mit sich bringen. Letztlich kommt es aber darauf an, es zu hören.

Wie baut man sich seinen Soundtrack? -
Über Tonleitern und Akkorde

Ich habe für diesen Artikel mal einen kleinen drei Minuten Beispiel Track produziert und seziert. Damit könnt Ihr auch als Nichtmusiker versuchen nachzuvollziehen, was eigentlich passiert in solchen Filmscores. Man verzeihe mir, dass ich beim Mixing und Mastering nicht ganz so genau gearbeitet habe. Hier könnt Ihr euch den ganzen Track einmal in voller Länge anhören:



Hier ist auch ein Screenshot des Arrangements, wie ich es im Aufnahmeprogramm angelegt habe. Ohne Noten lesen zu können, kann man hieran gut sehen, wann was im Stück einsetzt und wann zusammen spielt. Das ist quasi die Partitur, der Fahrplan, den der Dirigent oder die Musiker sonst so vor sich haben.

Arrangement in Cubase
Tonleiter, Stufen, Melodie

Grundlegend ist in der Musik die Harmonielehre. Es würde zu weit führen hier eine umfassende Einführung zu geben. Die ist auch nicht nötig. Man muss nur verstehen, was eine Tonleiter und ein Akkord ist.

Eine Tonleiter besteht, wie eine Leiter auch, aus Einzeltönen - man könnte auch Sprossen oder Stufen sagen. Nach einem bestimmten Bauplan entstehen die Tonarten. Aus einer Tonleiter - z.B. C-Dur - ergeben sich die Töne
c d e f g a h c

Damit kann man Melodien bzw. können wir unser Leitmotiv basteln.

Ich habe für mein Beispiel die Tonart g-moll gewählt. Es gibt quasi zwei Motive bzw. Themen. Ich habe beide einmal mit Klavier gespielt und sie Thema 1 und 2 genannt, damit man es pur raushören kann.

Thema 1


Thema 2


Die Themen werden im kompletten Stück vom Chor und von Streichern gespielt. Sie spielen ein und die selbe Melodie.

Die Begleitung - Akkorde

Schichtet man mindestens drei Töne übereinander, erhält man einen Akkord bzw. Harmonie.  Die Tongeschlechter Dur und Moll entstehen aus den unterschiedlichen Abständen der Töne innerhalb eines Akkords. Im Volksmund sagt man Dur klinge eher fröhlich positiv und moll eher traurig und dunkel. Bleiben wir mal bei der Unterscheidung, auch wenn ich kein Freund davon bin. Durch die Schichtung von Tönen über den einzelnen Tönen der Tonleiter entstehen Akkorde, die verwandt miteinander sind und bestimmte Funktionen im Stück erfüllen. Nach den Regeln der Harmonielehre bastelt man dann eine Kombination von Akkorden zusammen und erhält somit die Grundlage für unser Leitmotiv. Hierzu kann man sich die Tonleiter nehmen und nach der sogenannten Stufentheorie Akkorde kombinieren.

Ich habe für mein Beispiel folgende Akkordverbindungen gewählt:

Thema 1 - Gm Bb Eb F | Gm Eb F F
Thema 2 - Cm Ab Eb G | Cm Ab Eb G/H D/A

Die Akkorde - Das Orchester

Bei meinen Aufnahmen habe ich unter anderem mit virtuellen Instrumenten von Cinesamples gearbeitet. Diese Firma hat sich auf Software-Instrumente für den Film- und Fernsehbereich spezialisiert. Die Orchesterklänge stammen vom CineOrchestra 2.0 Instrument. Die Streichermelodie sind die Session Strings Pro von Native Instruments, der Chor stammt aus der Library von Kontakt 5.

Das Instrument wurde in drei Sektionen eingeteilt. Das wird in diesem Demovideo erläutert. Akkorde sind komplett gesampelt, so das eine Taste schon bereits die fehlenden Töne mitklingen lässt und die Harmonien schon fertig sind. Man kann also noch mehr in Stufen denken.



Low Chords

Ich bin beginne mein Beispiel mit den Low Chords. Also tiefe, dunkle Akkorde. Man hört zunächst die Begleitung für Thema 1, dann für Thema 2.


Tiefe, lange Töne und Flächen erzeugen Spannung im Film. Oft ist es sogar nur ein sehr tiefer Ton, der liegen bleibt.

Diese Akkorde werden bis zum Ende immer wiederholt. Nur die Lautstärke (Dynamik) ändert sich. Es folgen auf den Low Chords die beiden Themen gesungen vom Chor und später unterstützt von den Streichern.

Tutti Chords

Um dem ganzen noch mehr Steigerung zu verleihen, kommen im Laufe des Stücks immer mehr Instrumente hinzu. So hört man ab 1:26 zusätzliche Streicher und Bläser in den Akkorden, die sogannten Tutti Chords (itl. "tutti" = alle). Das gesamte Orchester spielt also die Akkorde zusammen. Gemeinsam mit den Low Chords klingt die Steigerung also so:

Dadurch, dass nun auch höhere Lagen gespielt werden, klingt es insgesamt heller und lauter.

Tutti Octaves

Ab 1:55 min werden vom Orchester auch die Töne gedoppelt und in Oktaven gespielt, die schon grundlegend für die Low Chords und Tutti Chords sind. Damit wirkt das Ganze nun noch fetter, vor allem, weil das Blech nun sehr deutlich laut zu hören ist. Das sind vor allem Trompeten und Posaunen. Die Tutti Octaves klingen so:



Schlagwerk

Was noch fehlt zum perfekten Soundtrack ist das Schlagwerk Wer erinnert sich nicht an Trommelgewitter beim letzten Kriegsepos oder den Angriff der Römer auf eine Stadt? Cinesamples hat dafür eigens ein Instrument entwickelt namens Drums of War. Der Titel sagt eigentlich schon alles. Das Instrument ist eine Sammlung von verschiedenen Trommeln und Percussioninstrumenten. Sehr beliebt bei Filmmusikern sind die großen japanischen Taikotrommeln oder SubDrums. Beide habe ich verwendet im Beispiel. Die Sub Drum beginnt mit einem tiefen Basston. Die Taikos sind die lauter werdenden Trommelwirbel, die mit einem Beckenschlag beendet werden.




Nur immer das selbe oder doch was anderes?

Hans Zimmer spricht in dem anfangs erwähnten Video davon, den Sound möglichst nicht eindeutig zu machen und lange in der Schwebe zu lassen. Auch die Wahl eines der Theorie nach falschen Akkords in einer Folge, ist mittlerweile typisch Hollywood. Die Low Chords tauchen in Filmen oft immer wieder leise im Hintergrund von Szenen auf. Aber nicht unbedingt die selben, wie im präsenten großen Leitmotiv. Oft sind sie leicht verändert. Das geschieht ganz einfach, indem der Akkord umgeschichtet wird. Ein Beispiel:

Der Ausgangsakkord (hier Gm)  ist aufgebaut aus

D
Bb
G

Man tauscht nun einfach die Töne und stellt sie um, erhält man folgende Möglichkeiten:

G  | Bb
D  | G
Bb  | D

Es ist zwar immer noch der Gm-Akkord, doch ist nun im Bass nicht der Grundton G, sondern das B. Man könnte ihn nun als Gm/B oder als Bb6 bezeichnen. Der Akkord klingt nun ein klein wenig anders, das Motiv passt aber immer noch darüber.

Ich habe ein Beispiel gemacht, in dem ich die oben bereits gehörten Low Chords alle durch solche Ersetzungen ausgetauscht habe. Es ist die selbe Folge und widerum doch nicht. Hört selbst:



Nun noch einmal mit den Themen darüber. Etwas andere Begleitung, funktioniert aber trotzdem.



Zum Vergleich nochmal die erste Version der Low Chords mit dem Thema darüber:


Man hört, dass kleine Veränderung erstmal neu wirken, aber dadurch, dass nur eine Kleinigkeit verändert wurde, schwebt der Klang. Er ist offen und anders und dennoch passt das Leitmotiv darüber und kann so immer wieder im Film auftauchen. Immer in etwas anderer Form, aber es wird sich einbrennen.

Fazit

Ich kann nicht behaupten, mich mit Hollywood-Musikern vergleichen zu können, aber die Zutaten für einen Epos-Soundtrack sind denkbar einfach. Im Grunde geht es um den fetten Orchesterklang mit viel Blech und viel Fundament. Dazu epische Chöre, die das ganze so sakral werden lassen. Je nach Genre kommen noch regionale Instrumente dazu, wie Dudelsack oder Flöten. Der Chor kann auch durch einen sehr hohen klaren Sopran einer Sängerin oder durch die tiefen Kirchenchöre ersetzt werden. Eine Orgel könnte eine Rolle spielen. Es geht um den Teppich und um ein Leitmotiv. Wie einfach das sein kann, hab ich versucht zu zeigen. Letztlich wäre das aber nicht möglich gewesen, ohne die virtuellen Instrumente, die quasi all diese Theorie schon beinhalten und in Software herunter gebrochen haben. Allein die Aufteilung der Tastatur innerhalb des Software Instruments sagt schon alles über die Machart dieser Art von Filmmusik. Ich möchte aber betonen, dass ich für diesen Artikel nicht von den genannten Firmen gekauft wurde. Ich möchte Euch nur zeigen, womit ich arbeite. Das frage ich mich bei vielen Stücke selbst oft. Daher sollte es nur ein Hinweis sein.

Wenn Ihr Fragen habt, schreibt mir gern einen Kommentar. Ich habe im Artikel nicht alles im Detail oder verständlich für alle erklären können. Um so spannender kann eine Diskussion im Nachhinein sein. Ich freue mich auf Eure Gedanken dazu. Und wenn Ihr das nächste Mal einen Film schaut, hört doch mal, ob Ihr ein Leitmotiv erkennt. ;)

Und hier nochmal das Ausgangsstück, damit Ihr nicht hoch scrollen müsst...




Dienstag, 8. Januar 2013

Gefahr des Dilettantismus

"Je freier eine Improvisation, desto größer die Gefahr eines peinlichen Dilettantismus. Erfahrene Improvisatoren bauen dementsprechend vor. Zunächst beherrschen sie ihr Instrument (oder die Stimme) auf einem dem klassischen Musiker vergleichbaren Niveau, bzw. übertreffen dieses sogar mitunter in der Virtuosität [...]"
Mahnkopf, Claus-Steffen (2011). "Komposition und Improvisation". In: Aspekte der freien Improvisation in der Musik. Wolke Verlag. S. 90

Die Gefahr und gleichzeitig der Reiz einer freien Improvisation ist, sich in der Freiheit zu verlieren und gar keine erlangen zu können. Unser Gehirn hat den Willen zu Routine und Struktur. So auch das des Zuhörers. Der Mensch will Muster erkennen. Ob man sich welchen hingibt oder nicht, liegt in der Hand des Improvisators. Es bleibt also die alte Frage, wie frei der Mensch wirklich ist. Wenn man Bücher, wie das oben zitierte, über freie Improvisation liest, bekommt man schnell den Eindruck, dass formale Improvisation in Strukturen der Feind ist. Die Realität sieht gewiss anders aus. Die Szene der improvisierenden Zunft in der Musik versucht sich als Gemeinschaft zu sehen, weil sie de facto nicht sehr groß ist.

Analogien zum Improvisationstheater gibt es auch hier. Ich habe festgestellt, dass Improtheatergruppen dazu neigen, nach einer Weile des Grundlagen lernens und der Theatersportspiele nach Keith Johnstone, längere und freiere Formen des improvisierten Theaters spielen wollen. Hier besteht die gleiche Gefahr, wie in der Musik. Ab wann ist ein Spieler denn erfahren genug, sich in eine freie Improvisation zu wagen mit weniger Struktur und Gerüst? Sicher kann man sagen, dass jeder immer alles machen darf und probieren soll, etwas wagen und riskieren, wie es in der Improvisation gewünscht ist. Das Zitat enthält aber noch einen zweiten Teil, den ich auch wichtig finde. Nämlich, dass man sein Instrument beherrscht und für die Freiheit sozusagen vorsorgt. Von einem Impromusiker wird erwartet, dass er auf Zuruf sofort und ohne Spielfehler (!) einen Improsong spielt bzw. dem Spieler ein Harmoniegerüst liefert, auf dem der dann improvisieren kann. (Mehr ist es letztlich ja nicht beim Improtheater - Stegreif Liedbegleitung). Das dann möglichst in sämtlichen Stilen, auch wenn vom Publikum meist nur die üblichen 4 Verdächtigen gerufen werden. Die Größe zu haben, dass auch ein Song mal daneben gehen kann und dass man noch einmal von vorn beginnt, liegt daran, dass man in der Liedbegleitung eine Komposition imitieren will. Die gemeinsame Improvisation soll klingen, wie eine Komposition. Ohne Fehler. Am ehesten noch ohne Fehltritte des Musikers, denn der liefert ja das sichere Netz für den Spieler, der meist versucht durch seinen einfallsreichen Text zu glänzen. Für wirkliche Musik und Improvsation von seiten des Musikers ist meistens kein Raum. Aber daran gewöhnt man sich, wenn man sich auf ein Ziel geeinigt hat. Das ist dann doch die Unterhaltung des Publikums und nicht die Selbstverwirklichung der Künstler. Und das ist im Improtheater auch in Ordnung, hat sie es doch eigentlich nicht geschafft, als wirkliche intellektuelle Kunstform daher zu kommen, sondern durch den verbreiteten Stil nur für direkte, interaktive Unterhaltung zu sorgen. Theoretiker werden mucken und sagen, dass der Ursprung ja auch in der Comedia dell'arte liegt. Sicher tut er das auch, aber das muss ja nicht heißen, dass man etwas nicht in eine andere Richtung weiterentwickeln kann. Wenn der Jazz im Swing stehen geblieben wäre, wäre er heute auch nur gefällige Tanzmusik. Gott sei Dank kam danach der Bebop.

Worauf will ich hinaus? Es bedarf einer Vorbereitung, einer Schärfung seiner Fähigkeiten für die Improvisation. Die meisten Spieler im Improtheater beherrschen nicht einmal die Theatersportspiele richtig und wollen aber in die anspruchsvolle freie Improvisation. Wenn ich das Zitat auf das Theater beziehe, müsste es lauten: "zunächst beherrschen sie das Schauspiel". Improvisierende Musiker haben in den meisten Fällen eine langjährige, professionelle Ausbildung in den Bereichen "Praktisches Spiel", "Theorie", "Harmonielehre", "Rhythmuslehre", "Ausdruck", etc. hinter sich. Auch wenn das viele nicht so wahrnehmen als Schüler. Ein Profi hat ca. 10.000 Stunden übend am Instrument verbracht. Um auf das Zitat zurück zu kommen: Sind denn Improtheaterspieler auf dem Niveau eines klassischen Schauspielers, wenn sie sich in die freien Szenen wagen? Zu wenige sind es. Und warum "dürfen" sie es dennoch: Weil der Anspruch dann doch in den Bereich der Unterhaltung, des Hobbies, des Spaß gezogen wird. Frei nach dem Motto: "Wenn's schief geht, war's nur Spaß". Die Gefahr des Dilettantismus ist größer, als die meisten bemerken. Und diese Gefahr zieht sich durch alle Klassen. Wie ein Kollege richtig behauptete: "Ein klassischer Schauspieler kann auf Grund seiner Ausbildung auf Fertigkeiten zurückgreifen, die ein Laie nur durch Talent oder durch viel Arbeit  ausgleichen kann." Und da müsste sich jeder mal fragen, wieviel Futter er eigentlich mitbringt oder an sich arbeitet. Ansonsten bleibt die Gefahr herum zu dilettieren immens groß, wie bei den meisten. Um einen "Klassiker" übertreffen zu können, bedarf es eben ein Weitergehen, nachdem ich das Niveau erreicht habe. Aber da muss man erstmal hinkommen.


Montag, 31. Dezember 2012

Ich habe mir lieber zugehört

An vielen Jazzpianisten stört mich, dass sie letztlich nur Skalen, also Tonleitern, wie beim Leistungssport die Klaviatur hoch und runter spielen. Möglichst schnell. Tempo wird damit wichtiger und der einzelne Ton damit unwichtiger. Bei hoher Geschwindigkeit kann das menschliche Gehirn nur noch die Ketten wahrnehmen und nicht mehr den Einzelton, je nach Hörgewohnheit und Gehirnleistungsfähigkeit. Somit können Skalen nur im Gesamten zu Klang werden, nicht aber der einzelne Ton. Wenn einzelne Töne auffallen, dann, weil sie so dissonant sind und das Gehör gar nicht mehr drum rum kommt, sie wahrzunehmen. (Eigentlich müsste man Gehörn sagen, weil letztlich nur das Gehirn hört und das Gehör dazu benutzt.)

Es bleibt die Frage, ob Jazz so unterrichtet wird, das die Virtuosität bzw. die Geschwindigkeit das einzige Mittel ist, sich als guter Jazzer oder besser als andere darzustellen? Sicher, es steckt viel Fleiß dahinter, so geläufig spielen zu können. Aber ich denke nicht, dass die meisten sich auch wirklich mit diesen Fingerübungen ausdrücken wollen. Was sie zu sagen haben, wird hinter rasenden Skalen nicht größer. Vielleicht steckt auch gar nichts dahinter, als der reine sportliche Ehrgeiz, der schnellste zu sein.
Das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Aber man kann auch nicht überprüfen, was Absicht und was Clownerie ist an solch einem Konzertabend.

Mixolydische Skala
Quelle: wikimedia.org

Ich unterrichte musikalische Improvisation auch in enger Anlehnung an Jazztheorie. Jedoch gehe ich nicht unbedingt vom Akkordaufbau. Vielmehr geht es, vor allem wenn der Schüler schon jahrelange Spielpraxis von Kompositionen mitbringt, um das Hören. Das Sich-Selbst-Zu-Hören. Allein dieser Ansatz, das Vertrauen auf sein spielerisches Können und das Sich-Trauen, zu spielen, was man in sich selbst hört, genügt schon gut zu improvisieren. Und auch das bezeichne ich als Jazz. Jazz in seinem Grundgedanken versteht sich als freie Musikform, die zu fast jeder Zeit feste Formen sprengen wollte. Hat dies der Jazz geschafft? Nicht wirklich, denn die Musiker haben nur das System erweitert. Mehr zu gelassen. Das bedeutet nichts anderes, als das Lernen von mehr Tönen und Tonleitern. Mehr Zusammenhängen. Das kann man alles tun und vielleicht wird man virtuos und spielt vor der Jazzpolizei und erntet sogar deren Anerkennung mit mäßigem Applaus und einem Vergleich mit der einen oder anderen Jazzgröße. Aber das hat immer noch nichts mit Hören zu tun.

Ich denke, man kann durch die Beschäftigung mit der "klassischen" Jazzschule sein Material erweitern. Möglichkeiten erkennen und Horiztone sehen. Aber man wird auch da feststellen, dass man sich nur ein anderes Korsett zu gelegt hat. Eines, dass man vielleicht etwas weiter stellen kann. Aber es ist auch nur ein weiterer Dialekt der Musiksprache. Versuche im Freejazz noch freier zu werden und sich ganz dem Klang hinzugeben und nicht der musikalischen Struktur führten nicht zu einer großen Freiheitsbewegung beim Publikum. Vielleicht bei den Musikern.

Um an seinem eigenen Stil zu arbeiten, und das kann ein Ziel im künstlerischen Schaffen sein, muss man sich zunächst selbst zu hören und einfach spielen. Grenzen testen und sich vor allem selbst vertrauen. Irgendwann kann man an dem Punkt sein, zu sagen "Das bin ich. Das ist mein Stil. Und es ist Jazz. Meine Auffassung von Jazz".

Warum erzähle ich das alles? Weil ich erkannt habe, dass das, was ich über Improvisation weitergebe und selbst erfahren habe, sich in Büchern über Jazztheorie wiederfindet, ohne dass ich eines dieser Bücher vorher gelesen habe. Es ist die gleiche intuitive Vorgehensweise, die mit Selbstvertrauen in die eigene künstlerische Arbeit zu tun hat. Musik ist nachwievor etwas intuitives und hat etwas mit Gefühl zu tun. Mit Intellekt hat sie etwas zu tun, wenn man wissenschaftlich analysiert, was passiert ist. Die Musikwissenschaft besetzt diese Nische. Durch Analyse zur Erkenntnis zu gelangen ist ein guter Weg. Und es fühlt sich gut an, immer noch Erkenntnisse zu haben und sie in Büchern wieder zu finden. Ich finde diesen Weg äußerst sinnvoll für mich. Andere lesen vorher viele Bücher, lernen viele Tonleitern und Akkorde auswendig, bevor sie sich selbst zuhören. Nur wenige entwickeln dann noch einen eigenen Stil. Im Gegenteil: Man findet sie Skalen hoch und runter rasend in Jazzclubs mit einer "Vorname Nachname + Besetzung"-Bezeichnung. Und das heißt nicht, dass es nicht ein guter Abend werden kann.

Eine Erkenntnis war für mich in den letzten Wochen sehr entscheiden im Nachdenken über das eigene Spiel: Skalen sind im Grunde nichts anderes als Akkorde und Akkorde sind nichts anderes als Skalen. Ich habe jahrelang gedacht: Irgendwann bist du mal so fleißig und lernst alle Skalen auswendig in allen Tonarten und dann sind deine Improvisationen noch ein bisschen mehr Jazz. Ich war nicht nur zu faul dazu, sondern habe es eigentlich aus einem Grund nicht getan: Ich habe nie verstanden, warum ich etwas auswendig lernen muss, um dann erst sagen zu können, was ich sagen will, um erst dann spielen zu können, was ich will.

Ich habe mir lieber zugehört.

--

Wer Lust hat, sich mit der Jazztheorie auseinander zu setzen, dem sei folgendes Buch empfohlen. Es enthält neben gut verständlicher Sprache auch viele Praxisbeispiele, die man nachspielen kann. Um zu Hören, was man verstanden hat ;)


Ein sehr spannender Film über das Leben des Jazzpianisten Michel Petrucciani ist "Leben gegen die Zeit". Sehr bemerkenswert fand ich, dass er sich erst sehr spät für klassische Spieltechnik interessiert hat.



Freitag, 13. November 2009

Magisterarbeit "Die musikalischen Paramter der Gruppenimprovisation in den frühen 1970er Jahren"

Meine Arbeit zur Erlangung des ersten Akademischen Grades Magister Artium für Musikwissenschaft ist online unter stephanziron.de in der Rubrik Lesen - Wissenschaftliche Arbeiten verfügbar.

Die musikalischen Paramter der Gruppenimprovisation
in den frühen 1970er Jahren

Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis

  • Improvisation - Eine Einführung:
    Terminologie
    Komposition versus Improvisation - Begriffswandlung und Bemühungen um Ausgleich im 20. Jahrhundert
    Gruppenimprovisation
    Zum Prozessaspekt in der Gruppenimprovisation
    Die Interaktion in der improviserenden Gruppe
  • Instant Composer Pool und seine Musiker
  • Höranalyse - Groucomposing II
    Die Rolle des Rhythmus, der Melodie und des Zusammenklangs in der Gruppenimprovisation

Einleitung

„Melodie ist das, was immer vermißt wird“ - Hanns Eisler

Die Improvisation begegnet dem Menschen tagtäglich. Trotz aller Planungen muss er mehrfach spontan entscheiden und damit eine Situation in die eine oder in die andere Richtung lenken. Zwar sind wir bemüht unser Leben so zu gestalten, dass alles nach unserem inneren Plan verläuft, jedoch gelingt dies nicht immer. Somit ist die Fähigkeit spontan verschiedenste Entscheidungen zu treffen, angeboren und eine unserer wichtigsten.

In der Musik hat das Improvisieren bereits in frühesten Zeiten seinen festen Platz. Spontane Musikerfindung, ob allein oder in der Gruppe, ist nach wie vor ein entscheidender Motor in der Musikgeschichte. Wie auch im Alltag eines Menschen, ist die Improvisation eine Grundlage, um Situationen zu meistern und Neues zu schaffen. Ohne das Musizieren aus dem Stegreif hätten keine Grundlagen für soziales Handeln, mit dem die Musikausübung eng verknüpft ist, geschaffen werden können. Doch wenn Plan und Spontaneität in der Musik die Analogie zur Komposition und Improvisation rechtfertigen, dann ist die Gegenüberstellung beider Phänomene einerseits eine gefestigte Polarität. Andererseits stellt sich die Frage, wie und wodurch Komponist und Improvisator im Laufe der Musikgeschichte derart gegenüber gestellt wurden. Wenn von Improvisation in der Musik die Rede ist, wird sehr schnell die Verbindung zum Jazz hergestellt. Mit dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass die Improvisation nicht nur in diesem Musikgenre einen hohen Stellenwert besitzt, sondern auch in einem musikalischen Bereich praktiziert wird, der nicht mit dem Etikett 'Jazz' belegt ist.

Die vorliegende Arbeit ist dreigeteilt in einen einführenden Theorie- und Geschichtsteil, einer Höranalyse und einem Fazit, in dem Schlussfolgerungen aus der Verbindung von Theorie und Analyse gezogen werden. Zu Beginn dieser Arbeit wird in den Begriff, der Theorie und Geschichte der Improvisation eingeführt. Dabei stehen zunächst terminologische Aspekte im Mittelpunkt. Die Etymologie ist nicht nur der Zugang zum Sprachgebrauch, sondern auch zur Rolle der spontanen Musikerfindung in der Musikgeschichte, welches ferner gezeigt werden soll. Dabei wird die musikgeschichtliche Entwicklung nachvollzogen, die zu einer Gegenüberstellung von Komposition und Improvisation geführt hat.

Ernest T. Ferand beschäftigte sich in seinem Buch 'Die Improvisation in der Musik' eingehend mit der Kategorisierung von Improvisation und deren historischer Entwicklung. Basierend darauf soll geklärt werden, welcher von Ferand beschriebenen Improvisationsarten die Gruppenimprovisation der frühen siebziger Jahre zuzuordnen ist. Des Weiteren werden die musiksoziologischen Begriffe 'Interaktion' und 'Prozess' in die Analyse einbezogen. Inwiefern sie eine Rolle im gemeinsamen improvisieren spielen und ob sie anhand der Tonsatzparameter identifiziert und nachvollzogen werden können, soll beleuchtet werden.

Als Beispiel hierfür dient im Analyseteil das Stück Groupcomposing II der niederländischen Improvisationsgruppe Instant Composer Pool, das 1970 in Rotterdamm aufgenommen wurde. Die siebziger Jahre sind geprägt durch die Kunstbewegungen Fluxus und Happening, die Kunst nicht abgekoppelt von den Rezipienten betrieben, sondern das Publikum aktiv mit einbezogen und damit zu einem gesamtmenschlichen und -gesellschaftlichen Handeln erheben wollten. Die Gruppenimprovisation ist nur ein Teil dieser Bewegung. Eine Aufnahme des Stücks befindet sich im Anhang der Arbeit. Die Gruppe und ihre Mitglieder werden in Kurzportraits vorgestellt.

Neben der Einordnung in die Improvisationsarten soll mit dieser Arbeit schließlich geklärt werden, ob und wie die im schriftlich fixierten Tonsatz verwendeten Parameter Melodie, Rhythmus und Zusammenklang in der Gruppenimprovisation der frühen siebziger Jahre Verwendung finden. Dazu wird das Analysestück auf diese Aspekte hin mittels einer Höranalyse und der Erstellung einer Hörpartitur untersucht. Finden sich Melodien, Themen oder Motive in der Gruppenimprovisation? Gibt es ein einheitliches Gesamtmetrum, an dem sich die Musiker orientieren? Wie wirken die Instrumente auf einander und im Zusammenspiel und welchen Stellenwert hat er in der gemeinsamen spontanen Musikerfindung? Des Weiteren soll herausgefunden werden, ob die Gruppenimprovisation von den Musikern bewusst oder unbewusst strukturiert wird. Wenn es eine Strukturierung gibt, welche musikalischen Mittel und Tonsatzparameter werden verwendet?

Hanns Eisler begegnet mit seiner zu Beginn zitierten Aussage der Frage nach dem Stellenwert der Melodie in einem Werk, also eines der Tonsatzparameter. Im Fazit wird die Verbindung zwischen den eingangs formulierten Fragen und den Ergebnissen und Problemen der Höranalyse des Beispiels einer Gruppenimprovisation in den frühen siebziger Jahren aufgezeigt.

Die Forschungen auf dem Gebiet der Improvisation erschöpfen sich zu Teilen meist im etymologischem, terminologischem Bereich, welche sich meist auf ältere Erkenntnisse stützen. Zwar schuf Ferand mit seinem Buch eines der Standartwerke, jedoch folgte nach der Publikation keine vergleichbare in diesem Umfang. Wenige Ansätze findet man in der Musiksoziologie und -psychologie. Wenn die Improvisation jedoch als Grundlage für jegliche Musikausübung verstanden werden kann, ist die Relevanz des Themas um so höher. Um diese Relevanz zumindest im Ansatz zu stützen, ist diese Arbeit entstanden. Denn wie gezeigt wird, ist die Improvisation in ihren verschiedenen Formen eines der bedeutendsten Phänomene der Musikgeschichte für Musikpraxis wie für die Musikwissenschaft.