Sonntag, 14. November 2010

Du kannst nicht singen! Setzen! Sechs!

Singen liegt in der Natur des Menschen. Es fördert das Gemeinschaftsgefühl und wurde bereits in frühester Zeit im Alltag und in Ritualen praktiziert. Der Klang einer Orgel ist der menschlichen Stimme nachempfunden, der Atem des Menschen gleicht dem Luftstrom in dem Instrument, das oft als Mutter aller Musikinstrumente bezeichnet wird. Die früheste Form der Mehrstimmigkeit im 9. Jahrhundert war Gesang. Historisch betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass die erste Form der mehrstimmigen Gesangs improvisiert war. Viele Völker der Erde improvisieren in ihren Ritualen bis heute. Sogar mehrstimmige improvisierte Chorsätze von Volkswaisen vor allem in östlichen Ländern sind keine Seltenheit. Das Singen gehört zum Leben. Generationsübergreifend werden Lieder gesungen und weitergegeben. Doch halt! Dies soll keine Werbung für mehr Volkslieder in deutschen Wohnzimmern sein. Es soll nur zeigen, dass das Singen etwas sehr natürliches und das gesangliche Erfinden von Musik eine viel ältere Tradition hat, als die scheinbar so perfekte Kunst der Komposition.

Millionen von Menschen in Deutschland wurden und werden nachwievor systematisch traumatisiert. Und das nicht etwa in bekannten Schreckenssituationen, sondern in einer Einrichtung, die uns positiv auf das spätere Leben vorbereiten soll: Die Schule und ihr Musikunterricht. Die Peiniger: Lehrer, Eltern, Familienangehörige, Freunde. Die Opfer: Schüler, die die Tophits der Volkslieder allein und vor versammelter Klasse ohne Begleitung eines Instruments vortragen müssen. Oft hören kleinen Volksliedsänger am Ende ihres Auftritts: "Du kannst nicht singen! Setzen! Sechs!". Spüren Sie bereits Gänsehaut? Dann sind Sie auch ein Opfer dieser musikalischen Nötigungspraxis vieler Musiklehrer an allgemeinbildenden Schulen. Und den meisten ist nicht einmal bewusst, wie schwer sie durch dieses Erlebnis gepeinigt wurden. Seitdem haben die meisten nie wieder nur eine Zeile ohne diverse Alkoholika und in der Gruppe mit anderen Gepeinigten singen können. Eine Tragödie.

Nur wer ist nun Schuld? Sind es wirklich die Lehrer, die eigentlich ja nur ihrem Lehrplan folgen, auf dem der Punkt "Liedkontrolle" steht? Wohl kaum kann man das Böse in den Pädagogen finden, zumal es auch sehr viele Gegenbeispiele gibt, wie so oft und ihrem handwerklichen Verständnis sei Dank.

Ich möchte versuchen das Phänomen der Annahme "nicht singen können" zu umreißen. Es taucht immer wieder zu Beginn meiner Workshops zum Thema "Improvisierter Gesang" auf. Zu Beginn erzählen mir acht von zehn Erwachsenen Menschen, dass sie nicht singen können. Das Spektrum reicht von "Ich singe heimlich allein für mich" über "Ich habe seit der Schule keinen einzigen Ton gesungen" bis "Ich habe Schläge zu Hause bekommen, wenn ich falsch gesungen habe". Bei solchen Aussagen läuft es mir kalt den Rücken herunter. Viele leben auch mit dem Widerspruch "Ohne Musik kann ich nicht leben." oder "Ich singe für mein Leben gern", im geschützten Rahmen eines Workshops trauen sich diese Menschen nicht einen Ton zu singen.

Um dieses Trauma oder diese Blockade zu lösen gehe ich von der Grunddefinition "Singen" aus. Ein gutes Beispiel für die unbewusste Fähigkeit Singen zu können, ist die Verabschiedung einer Verkäuferin mit dem lang gezogenen Wort "Tschüssiiiiiiiii!". Die Verkäuferin würde nicht von sich behaupten, dass sie singen kann, jedoch hält sie jedes Mal, wenn sie Kunden verabschiedet einen Ton auf dem I und intoniert hervorragend. Ich gehe also davon aus, dass Singen erst einmal nur das "Langziehen" von Vokalen ist. Ähnlich wie Tanzen in Grunddefinition die Bewegung zu einem Rhythmus oder zur Musik ist. Was hierbei den Teilnehmern genommen werden soll, sind die Bewertungskategorien "gut" und "schlecht". Es geht nur um die Fähigkeit und die körperliche Voraussetzung für das Singen. Jeder Mensch, der einen funktionierenden Stimmapparat hat, ist in der Lage zu singen und kann singen. Aus Erfahrung hilft es Teilnehmern, wenn zunächst die Aufgabe darin besteht, möglichst dissonant zu sein. Sie sollen also so schräg, wie möglich im Vergleich mit ihren Nachbarn singen. Es geht erst einmal nur um den Zusammenklang von mehreren Menschen. Die Teilnehmer finden es erstaunlich, wie schön es sein kann, allein den Chor zu genießen und sei er noch so dissonant. Ich argumentiere hierbei gern, dass Harmonie ohne Dissonanz nicht möglich wäre bzw. schrecklich klingen würde. Ein Orchester, in dem jedes Instrument hundert prozentig richtig nach Herzzahl gestimmt wäre, würde grausam klingen. Nur die leichte Verstimmung macht einen für uns angenehmen Zusammenklang möglich. Wenn wir es auf die zwischenmenschliche Ebene heben wollten, könnte man sagen: Fehler machen einen Menschen interessant. Nun ist unser menschliches Gehirn und das Gehör jedoch so konstruiert, dass wir uns in Bruchteilen von Sekunden mit anderen synchronisieren können. Das gilt für die Körpersprache, wenn wir uns sympathisch sind, genauso wie für einen gleichen Ton, den wir gemeinsam singen wollen. Improspieler werden es aus Gruppensongs kennen, andere vielleicht aus Fangesängen in Fußballstadien: Eine Gruppe einigt sich auf eine Melodie und auf Töne, die zusammen passen und klingen. Es wird automatisch richtig, wenn es die Gruppe gemeinsam tut.

Ist die Hürde also erst einmal genommen, überhaupt zu singen, sind viele nachwievor unzufrieden, dass sie schief singen. Dies kann man mit mehreren Schritten verbessern. Wenn wir die Kategorie "gut" verwenden wollten, wäre für ein "gut Singen können" ein regelmäßiges Training bzw. Gesangsunterricht nötig. Viele haben auch einfach Naturttalent. Zum Singen gehört jedoch in erster Linie ein gutes Gehör. Das gilt für Musik im Allgemeinen. Der erste Weg Musizieren zu erlernen geht über Musik hören. Vor allem selektives und bewusstes Hören und imitieren, hilft Musik zu erlernen. Zwei weitere Dinge sind aber auch für den Hausgebrauch oder der Improbühne hilfreich: Erstens gilt immer, dass ein langweiliges Gesicht auch einen langweiligen Ton hervorbringt. Ein kleines Lächeln und Achten auf die Spannung und Ausstrahlung hilft bereits den Ton besser halten zu können. Zweitens gilt auch hier das Behauptungsprinzip, wie beim Theaterspiel auch. Je mehr ich mir selbst bewusst bin, dass ich singe und das auch will, desto besser wird der Ton gehalten werden können. Eine zittrige, schlechte Intonation hat auch damit zu tun, dass man unsicher ist. Sich ein inneres Bild zu machen, von dem was ich Singen will, hilft auch bei der Umsetzung. Ähnlich der Imagination von Wochentagen, ist es möglich sich eine Vorstellung von Musik zu machen. Dazu hilft es sich Dinge begreifbar, im wahrsten Sinne des Wortes, zu machen. Dies kann von Treppenstufen bis zu Wellenbilder für Melodien gehen. Da muss jeder selbst, sein persönliches Bild finden.

Ein weiterer Schritt hin zum improvisierten Singen ist, die Informationsebene auszuklammern. Viele sind überfordert, wenn sie eine Melodie und auch noch einen sinnvollen Text erfinden müssen. Und selbst, wenn sie es nicht müssen, legen sie sich es selbst auf, weil sie orginell sein wollen. Auch das passiert häufig beim Improtheaterspiel. Die Regel "Sei nicht orginell" fruchtet auch hier. Eine gute Möglichkeit ist das Singen in Gromolo bzw. Kauderwelsch. Als Inspiration kann ein Land und die eigene Vorstellung der jeweiligen Landessprache sein. Die Teilnehmer können sich nun ganz auf die Melodie konzentrieren. Man kann hierbei sogar die Ebene "Rhythmus" herausnehmen, in dem man eine Phrase auf liegenden Akkorden singt. Es gibt immer hin 12 Halbtöne, die kombiniert werden können. Da setzt ein treibendes Metrum des Musikers nur zusätzlich unter Druck, wenn man die eins nicht findet.

Möchte man doch Text singen, geraten viele in die "Reim dich oder ich fress' dich-Falle". Es wird dann immer sofort auf die Zeile gereimt, die gerade erfunden und vorgegeben wurde. Aber allein erst eine Zeile später zu reimen, nimmt sehr viel Stress aus der Sache und klingt viel interessanter und schwieriger, obwohl das viel einfacher ist. Eine Reimform ABAB ist also viel sinnvoller, als AABB. Dennoch weise ich immer wieder darauf hin, dass sich Texte nicht immer reimen müssen.

Eine hilfreiche Information für die Improsänger ist auch, dass sie in Songs nicht immer die Handlung vorantreiben müssen. Wie viele Songs müssen wir hören, die mit "Ich ging dort hin, habe den getroffen und habe das gemacht" beginnen. Atmosphäre zu machen und zu beschreiben in Liedern ist keine Schande und orginell genug!

Eine Grundform des Theaterspiels ist die Zug-um-Zug-Spielweise. Dieses kann man auch im Gesang und vor allem Duett nutzen. Wichtig hierbei ist auch, dass man sich erstens Zeit lässt und sich zweitens auch der Reimform ABAB bedient. Zeit lassen kann auch bedeuten, dass man dem Musiker einfach eine Strophe für ein Solo lässt. Der Sänger kann durchatmen und der Musiker kann sich auszeichnen. Zug um Zug eben.

Teilnehmer, die große Hemmungen vor dem Singen und dem damit verbundenen emotionalen Öffnen hatten, konnten mit der Wegnahme der Bewertungskategorien Gut/Schlecht, sowie der Informationsebene in Liedern, große Fortschritte und Erfahrungen mit dem Singen machen, obwohl sie Jahre lang keinen Ton sangen. Das Reimschema ABAB und die Information, dass man sich Zeit lassen kann, weil Bühnenzeit anders vergeht, als Zuschauerzeit, sind ebenso sinnvoll und hilfreich für das improvisierte Singen. Mit diesen wenigen Tipps haben es bisher neun von zehn Teilnehmern geschafft, ein Lied vollständig zu improvisieren und es im Nachhinein als große emotionale Erfahrung zu beschreiben. Einige von ihnen geben sogar an, das Singen zu einer regelmäßigen Gewohnheit werden zu lassen, weil es großen Spaß macht vor allem mit anderen zusammen. Und in ein paar Jahren sehen wir uns im Workshop zum Thema "Improvisierter mehrstimmiger Chorsatz". Unsere vornehmlich osteuropäischen Nachbarn würden sich wundern, dass wir dafür Workshops machen müssen, während es dort von Kindesbeinen an üblich ist, Volksweisen in improvisierten Chorsätzen zu singen. Einfach weil gemeinsam Singen Spaß macht!

Donnerstag, 16. September 2010

Wohin nur mit dem Musiker?

Im letzten Beitrag wurde der Musiker beim Improtheater von mir als Mitspieler gekürt, der wichtiger Teil des Geschehens ist. Die Musik wirkt als aktiver Gestalter und der Musiker ist der Produzent des Klangerlebnisses. Dennoch bekommt der Musiker oft einen recht undankbaren Platz bei Auftritten: Links oder rechts am Bühnenrand ist üblich. Auch beliebt ist es, den nach dem Auftritt meist so geschätzten Kollegen vor der Bühne zu platzieren. Natürlich ist es oft den kleinen Bühnen geschuldet, dass der Musiker nur einen stiefmütterlichen Platz bekommen kann. 

Im schlechtesten Falle bedeutet dies, dass seine Kollegen ihn hinter die Säule neben die Bühne setzen, von wo aus das Publikum wiederum ebenfalls keine Möglichkeit hat, ihn zu sehen. Eine typische Aussage eines Improspielers zu mir als Pianisten ist dann: "Das ist mit dem großen Instrument und seiner Lautstärke nicht anders lösbar. Es ist ja sonst kein Platz auf der Bühne für die Action-Szenen. Sorry! - Aber deine Musik ist schön...". Der Abend plätschert dahin mit belanglosem Geklimper vom Klavier zu Slap-Stick-Humor der Improgruppe, in der sich jeder einzelne nur selbst feiert und keine Angebote annimmt. Weder vom Mitspieler, was ja wenigstens zuträglich für eine erträgliche Szene wäre, noch vom Musiker, weil die Musik ja nur zur Szenenbegleitung gebucht wurde. Und irgendwas war ja neben den endlosen Dialogen noch zu hören während der Szene. Wahrscheinlich "schöne Musik" vom Musiker, der begleitet hat. Das Publikum wird in diesem Punkt oft unterschätzt. Es bemerkt nämlich, im Gegensatz zu Annahmen vieler Improspieler, wenn die Gruppe keine Gruppe ist oder der Musiker "nur" Begleiter ist. Fühlt der Musiker sich in der Begleiterrolle wohl, gibt es kein Problem. Fühlt er sich vom Ego der Improspieler wenig beachtet, seine Angebote nicht akzeptiert und als Klimperer in die Begleiterrolle gedrängt, strahlt er das auch aus. Dann ist er froh hinter der Säule neben der Bühne zu sitzen. Und er ist noch froher, wenn er sich nicht auch noch auf der Bühne nach diesem Auftritt verbeugen muss. Ich möchte nicht alles so schwarz malen.

Wenn wir vom optimalen Fall ausgehen, finden wir ein gutes Mittel zwischen Publikum und Improspielern. Denn: es ist genauso interessant und wichtig den Musiker bei der Ausübung seiner Kunst sehen zu können, als auch die Spieler. Das Publikum kommt wegen allen Künstlern: Improspielern und Musiker. Immerhin sind die meisten Improgruppen sehr stolz darauf, in ihre Ankündigung schreiben zu können, dass sie einen hervorragenden Musiker dabei haben, der einen Abend voll großartiger Songs garantiert. Zum Musik machen gehört nicht nur der akustische Reiz, sondern auch der visuelle, weil er den Ausdruck des Künstlers unterstützt. Wenn man dem Spieler die Mimik und Gestik nehmen würde, könnte man gleich ein Hörspiel aufführen. Dabei ginge das Visuelle verloren. Ein Instrument, das Wort sagt es, ist Mittler für das, was der Musiker ausdrücken möchte. Ohne ihn wäre ein Klavier nur ein Schrank mit Tasten, Saiten und diversen technischen Installationen. Für viele Zuschauer ist es mindestens genauso spannend, zu beobachten, was der Musiker während einer Szene tut und wie er sich dabei mimisch und körperlich ausdrückt, wie einen Spieler zu sehen. So geben wir dem Zuschauer die Möglichkeit den Instrumentalisten als aktiven Spieler zu bewerten. Gehen Musiker und Spieler davon aus, dass einzig die Musik das Wichtige und die Person unwichtig ist, ist der Sichtkontakt zwischen Publikum und Musiker selbstverständlich nicht entscheidend. Nur dann muss der Musik auch wirklich ein unsichtbarer, aber bemerkbarer Raum gegeben werden. Selbst wenn ein Klavier nicht auf der Bühne stehen kann, sollte man doch darauf achten, dass der Pianist auf die Bühne sehen und das Publikum das Spiel oder zumindest das Gesicht des Musikers sehen kann. Ist dies alles aus Platzgründen nicht realisierbar, sollte der musikalische Mitspieler zumindest im übertragenden Sinne seinen Raum bekommen. Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine Strophe in einem improvisierten Lied als instrumentales Solo gespielt habe oder eines bei einer Improtheater-Show gehört habe. Das könnte daran liegen, weil sich Improspieler dann mit Sprache zugunsten von Fokuswechsel zurücknehmen müssten. Vielleicht wissen sie aber auch schlichtweg nicht, was sie in dieser Zeit auf der Bühne machen sollen. Leider sind die einzigen Solostellen oft nur die Einlassmusik oder der Jingle, der zum Aufgang der Improspieler gespielt wurde. Eine Sequenz an einem Impro-Abend könnte eine musikalische Improvisation sein, in der die Bühne entweder leer bleibt und das Licht gedämpft oder sogar ganz aus ist. Vorausgesetzt der Musiker ist dazu fähig und möchte dies. Diese Sequenz in eine Szene zu überführen oder als Einleitung und Inspiration für Folgendes zu sehen, wäre eine Möglichkeit. Auch eine körperliche, nonverbale Szene wäre auch ein neuer Impuls für einen Improabend. Entweder man lässt dies also als reines Solo des Musikers stehen oder nutzt dies für die Fortführung des Abends. Damit hätte der Musiker Raum bekommen und muss nicht auf der Bühne zu sehen sein. Wird darauf nicht geachtet, kämpft er nicht nur mit seinen Impro-Kollegen um den Status eines Aktiven, sondern auch mit dem Publikum und wird wirklich zum Begleiter der Gruppe und auch so wahrgenommen. Seine Position am Bühnenrand oder neben der Bühne bestätigt dann diesen Status. Als Pianist muss ich zugeben, dass dieses Instrument nicht gerade durch seine Kompaktheit überzeugt. Gitarristen haben es da leichter, wenn sie nicht gerade mit einer Verstärkerwand und diversen Effektgeräten auftreten. Nicht auszudenken, was mit einem Flügel auf der Bühne passiert, die nicht geräumig ist. Zwar kann man den Pianisten gut sehen – zu überhören ist er allerdings auch nicht, wenn nicht sensibel genug gespielt wird beim Spiel ohne Mikrophone – aber der Aktionsradius der Spieler schränkt sich stark ein. Man sieht: Die Positionierung des Musikers bringt wirklich Probleme mit sich. Aber man muss diese vermeindlichen Schwierigkeiten für seine Inszenierung zu nutzen.

Wie gesagt, viele Bühnen sind einfach klein und es haben selbst zwei Improspieler kaum Platz zum Spielen. Was ich sagen will, ist schlichtweg: Man muss sich Gedanken machen um das Bild, was dem Publikum präsentiert wird. Möchte man eine Hand voll Egoisten und Rampensäue begleitet (!) von einem klimpernden Pianisten? Oder zeigt man eine gemeinsame, inspirierende Gruppenimprovisation nach Regeln, wo jeder seinen Raum bekommt? Wenn kein Platz da ist, dann soll man sich wenigstens gegenseitig Raum geben. Man setze also bei genügend Platz, den Musiker auf jeden Fall mit auf die Bühne. Der Rand bietet sich dabei einfach an. Hat man einen kleineren Raum und das Publikum sehr nah am Geschehen und auch am Klavier, sollten die Bässe des Klaviers von den Zuschauern weg zeigen. Viele Klaviere sind in den Bässen sehr voluminös, in den Höhen eher dünner. Damit entgeht man der Gefahr, dass das Klavier zu laut ist für das Publikum. Ein Soundcheck mit Gesang empfiehlt sich immer. Der sollte nicht stiefmütterlich durchgeführt werden, sondern bewusst und mit Zeit gemacht werden. Jeder sollte wissen, wie laut er sein darf und eventuell sein muss für die letzte Reihe. Auch wenn man jede Woche im selben Raum spielt. Kein Abend ist gleich. Das sollten Improspieler ja wissen. Das gleiche gilt beim Sound. Lieber einmal mehr vorher gecheckt, als böse Überraschungen erleben. Vielleicht klemmt ja doch eine Taste oder das Mikrophon hat Aussetzer. Und vor allem ist es immer wieder eine Kontrolle für sich selbst: Bin ich präsent genug, artikuliere ich richtig trotz Mikrophon, höre ich die Sänger? Auf keinen Fall empfehle ich die Platzierung des Musikers neben oder vor das Bühnenpodest. Die Bühne ist ja genau aus dem Grund erhöht, dass die Menschen darauf den Fokus bekommen und schlichtweg als Künstler identifiziert werden. Nimmt ein Klavier oder gar Flügel zu viel Platz auf der Bühne ein, bleibt jedoch nichts anderes übrig. Aber auch dann darf das Instrument nicht zu weit weg, sondern im Zusammenhang mit der Bühne platziert werden. Es sollte immer das Bild entstehen: Bühne und Klavier gehören zusammen, Musiker und Spieler sind eine Einheit. Sitzt der Musiker nicht mit auf dem Podest, kann es hilfreich sein, ihn keine Einlassmusik spielen zu lassen. Er sollte dann seinen eigenen Aufgang bekommen, auch wenn es kein Aufgang auf die Bühne ist. Er definiert sich aber dramaturgisch als Anfangspunkt und das Publikum lenkt zumindest zu Beginn der Vorführung seine Aufmerksamkeit auf ihn. Dieses Ritual ist für den Musiker genauso wichtig, wie für das Publikum, das zur Ruhe kommt während den Schritten des Musikers in Richtung Klavier. Ihm sollte man auch dann einen Lichtspot geben, wenn das Instrument nicht auf der Bühne steht. Dies kann man auch weiterführen und einen Lichtwechsel vollziehen, wenn die Spieler auftreten. Damit hat man den Fokus für den Vorreiter komplett am Klavier und kann mit diesem Wechsel bereits signalisieren "Das war das Intro, jetzt sind auch die Spieler da. Jetzt geht es mit allen los. Und übrigens ist das nicht nur unser Begleiter am Klavier, sondern ein wichtiger Teil unseres Ensembles.". Ich halte persönlich nicht sehr viel von Einlassmusik, also Musik während das Publikum den Saal betritt. Die improvisierte Musik wirkt dann wie Improtheater auf der Straße. Das Publikum versteht nicht den Zusammenhang, kann die Musik nicht wirklich einordnen und alle improvisatorische Mühe ist dahin. Wirkt vielleicht fade, schräg oder eben belanglos. Vielleicht ist das der Grund, warum Einlassmusik so oft nach Fahrstuhl-Jazz oder Stummfilm klingt. Ich selbst bin dabei oft uninspiriert und auch irritiert, weil die Gäste nunmal Lärm machen, wenn sie ihren Platz aufsuchen. Dann sollte man doch lieber auf eine CD zurückgreifen und dem Musiker seinen Auftritt vor den Spielern lassen. Es ist nicht unwichtig, in welche Stimmung wir das Publikum vor Beginn einer Show setzen. Daran sollte die Musik auch orientiert sein. Nicht einfach immer die selbe Musik laufen lassen. Warum nicht mal thematisch sein?! Wenn ich einen Krimi spiele, spiele Krimisoundtracks. Das Publikum kommt unterbewusst in die richtige Stimmung und die Künstler letztlich auch. Der Zuschauer bemerkt in seiner unterbewussten Wahrnehmung viel mehr, als die Szene auf der Bühne. Seine Gedanken wandern immer über das gesamte Geschehen. Ob ein Spieler aufmerksam der Musik folgt oder sich von ihr leiten und inspirieren lässt, bemerkt auch ein Laie. Auch wenn er nicht immer alles in Worte fassen kann. Der Musik und der Person, die sich über sie ausdrückt Raum zu geben ist immer der bessere Weg, als ihm "nur" nach dem Auftritt Dank zu sagen für die "schöne Musik". Die Freude am gemeinsamen Spiel und gelungenen Szenen wiegt oft mehr, als tausend Dankesworte.

Mittwoch, 25. August 2010

Musikgeschmack und Musikgenres

Da habe ich doch vor einigen Tagen einen ganz interessanten Artikel bei SPIEGELOnline gefunden. Zwar gibt es aus wissenschaftlicher Sicht nicht wirklich viele neue Erkenntnisse. Aber der interessierte Leser bekommt einen guten Artikel geboten. Schaut doch mal rein:

Spiegel-Artikel: Warum Soulfans warmherziger sind

Zum Thema Musikgeschmack gibt es auf meiner Website eine wissenschaftliche Arbeit zum Download und Lesen. Dort gibt es detailierte Grundlagen und die Verbindung zur Werbung.

http://www.stephanziron.de/lesen.html#arbeiten


Dienstag, 24. August 2010

Plädoyer für (und gegen) Musik im Improtheater

Es gibt immer zwei Seiten einer Medaille, Ying und Yang, Pro und Contra. Nun liegt es wohl in der Natur des Menschen, dass er das verteidigt, was er tut. Weil es seine Rolle ist, seine Entscheidung, seine Taten hinter der er stehen sollte. Also darf er seine vermeintlichen Gegner nicht zu sehr verstehen und nicht zu einsichtig sein. Ebenso erlebe ich es als Musiker sehr oft beim Improtheater. Aus eben diesem Reflex stehe ich sehr oft auf der Seite der Verfechter der Musik. Weil ich nun einmal Improvisationstheatermusiker bin. So lang wie das Wort, so lang der Streit, ob Musik nun gänzlich hilfreich und gut für diese Kunstform sei oder nicht. Meine Verteidigungshalten ist allzu verständlich, sonst wäre meine Rolle obsolet bei einer Aufführung. Schnell sind Vorteile von Szenenbegleitung und Songs in einer Show oder Langform hervor gekramt und verkündet. Mit stolz geschwellter Brust in den Kampf der Kunstformen: Theater gegen Musik, Wort gegen Ton. Wer dient nun wem? Eine lange Diskussion der letzten Jahrhunderte. Diese erspare ich den geneigten Lesern an dieser Stelle.

Musik als Inspiration und Sicherheitsnetz für Ideen – Alles eine Frage der Erfahrung

Nach Auftritten sagen mir ImprospielerInnen oft, wie gut sie sich getragen fühlten von meiner Musik. Sie meinen vor allem Szenen, in denen Musik wirklich zur emotionalen Tiefe beigetragen und angeregt hat. Ich bediene mich bei meiner Arbeit häufig aus der Trickkiste der Filmmusik. Und da die Wahrnehmung der SpielerInnen erlernt und durch Filme und ihrer Musik getrimmt ist, beeinflusst dies auch immer wieder aktiv den Verlauf der Szene beim Improtheaterspiel. Ein Beispiel ist das berühmte, drängend wiederholte und damit Spannung und Beklemmung auslösende Tonintervall der Sekunde in hoher Lage. Sofort erinnern sich Hörer an den Weißen Hai. So einfach, wie wirkungsvoll. Warum? Weil wir in Verbindung mit den Bildern dieses Films gelernt haben, dass dieses Intervall Spannung, Angst und weitere Emotionen bedeutet. Die musikalische Umsetzung der Schreckensbilder in einem Intervall. Einfach – genial. Ebenso wirken die musikalischen, von den meisten Menschen emotional bewerteten Tongeschlechter Dur und Moll. Gemeinhin herrscht die Auffassung, dass Moll traurig sei und Dur fröhlich. Ein Klischee, das schlicht nicht wahr ist. Die Mehrzahl der bekannten Pop-Hits besteht aus munter gespielten Harmonien in Moll. Dass Musik also so eine Hilfe und Netz für Ideen im Improtheater ist, rührt zum großen Teil daher, dass Menschen Klischees und sogenannte Prototypen im Gehirn gespeichert haben. Ein kleines Experiment, dass jede/r ImproSpielerIn kennt: Rufen Sie mir ein Werkzeug auf die Bühne! Die meisten Menschen rufen Hammer. Oder eine Farbe: Rot. Scheinbar sind diese Begriffe Prototypen, die abgerufen werden. Quasi die ersten Assoziationen, die vor dem inneren Auge erscheinen, wenn wir gefragt werden. Genauso funktioniert dies mit der Musik. Auch wenn wir vorher nicht danach fragen. Als Musiker bediene ich mich diesen Prototypen und Wiedererkennungseffekten der Filmmusik. Denn Musik kann man lernen! Sei sie auch noch so schräg im ersten Moment. Auch Musik ist eine Sache der Erfahrung, des wiederholten Erlebens und der Sozialisation. Ich bewege mich als Musiker, genauso wie die Akteure in der Szene, zwischen den Klischees und bilde einen Charakter bzw. eine Figur. Quasi einen weiteren Mitspieler. Auch wenn er für viele auf den ersten Blick, oder soll ich lieber erstes Hören sagen, unsichtbar oder unhörbar bleibt. Im Fußball würde man sagen: Der zwölfte Mann auf dem Platz. Die Unterstützung, die Sicherheit bei Auswärtsspielen, wo Botschaften hinaus gerufen werden in die Welt. Die SpielerInnen fühlen sich dadurch unterstützt, wie eine Mannschaft, deren Fans ihre Choreografie zum Besten geben. Nur ist der Musiker mit auf dem Spielfeld und ebenso für das Ergebnis verantwortlich. Manchmal ist der musikalische zwölfte Mann Retter in der Not, gibt die so sehnlichst gewünschte Inspiration durch Harmonien oder wenige Töne.

Problematisch wird es allerdings, wenn Musik die Szene „zukleistert“ mit einem dicken Teppich von Tönen. Ein Sandalenepos wird die gesamte Szenendauer untermalt. Oder unter einer Slapstick anmutenden Sequenz wird stetig im Ragtime-Stil darunter geklimmpert. Dies passiert zum Einen, wenn ich nicht ganz bei der Sache, selbst uninspiriert bin oder den SpielerInnen hinterher hänge. Das passiert leider sehr häufig und ist eine Frage der Improtechnik.

Die Falle 5, 4, 3, 2, 1, Los! - Eine Frage der Technik

Fünf Sekunden geben sich die Akteure und zählen mit dem Publikum herunter. Verbreitet herrscht die Auffassung, dass nach dem gemeinsamen, energetischen Los! die Bühne nicht leer sein darf. Warum? „Pausen gehören zum Rhythmus.“ heißt es so schön. Und nicht nur in der Musik. Warum nicht auf Impro-Bühnen? Scheinbar möchte man nicht nur die peinliche Stille unterbrechen, oder sofort seine sensationelle Idee auf die Bühne stellen, bevor es sich die Muse anders überlegt, sondern es ist eine Frage der Technik. In Workshops und Kursen wird dem lernwilligen ImprospielerInnen beigebracht, dass die Bühne nicht leer sein darf. Damit verhindert man aktiv Abwechslung in Szenenanfängen. Der Musiker, sofern er als aktiver Mitspieler und nicht bloß als netter Begleiter gesehen wird, hat doch genauso das Recht und die Möglichkeit, Ideengeber zu sein und seiner Inspiration freien Lauf zu lassen. Wie wir aus Improkursen lernen, finden wir Figuren und Charaktere über ihren Gang. Schlussfolgernd kann allein der Aufgang einer Figur, inspiriert durch die Musik vorher und während dessen, zur Vielfältigkeit und Abwechslung bei Figurenspiel und Szenenanfängen beitragen. Wenn eine Improgruppe sachdienlich spielt und nicht nur aus Rampensäuen und Egoisten besteht, lässt sie dies geschehen und vertraut darauf, dass der Musiker sich ebenfalls nicht egoistisch und selbst verliebt in den Vordergrund spielt. Das wichtigste an der Szene ist immer noch die Szene. Und so sollte auch die Musik dienlich für die Geschichte, Figur, Beziehung und alles was wichtig ist in diesem gemeinsamen (!) Moment der Erfindung sein.

Welch ein Spaß es machen kann, gemeinsam Klischees zu bedienen, genieße ich genauso, wie viele ImprospielerInnen. Musik weckt in jedem von uns Bilder. Und die Freude über gemeinsame Bilder erleben wir in gelungenen Szenen – auf der Bühne und im Publikum. Der Fokus sollte jedoch auf dem gemeinsamen Gestalten liegen. Der alte Grundsatz „Weniger ist mehr, lass Raum für deine MitspielerInnen.“ gilt im Zusammenhang mit Musik ebenso, wie ohne. Das gilt auch für Musiker. Denn eine gute Szene kommt auch ohne Musik aus. Die Frage, die ich mir immer wieder stellen muss, lautet: „Braucht die Szene jetzt meine Musik oder nicht?“. Wenn also jemand behauptet, Improtheater kommt auch sehr gut ohne Musik aus, stimme ich ihm zu, auch wenn ich mich damit überflüssig machen würde. Doch ein Fußballspiel ohne Spieler wäre sinnlos. Der gerechteste Schiedsrichter in dem Spiel ist und bleibt das Ohr.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Benefizkonzert für JoLi

Mein Konzert am 17. Mai im Theaterdock ist sehr kurzfristig zum Benefizkonzert geworden. Die Abendeinnahmen kommen der frisch gepflanzten Linde "JoLi" vor meinem Haus zu Gute. Warum?

Letzte Woche standen mittags plötzlich zwei Menschen vom Ordnungsamt Pankow mit Männern vom Tiefbauamt vor unserem Haus und sicherten das frisch bepflanzte Beet auf unserem Gehweg. Wir hatten eine 15 cm hohe Beetumrandung zuvor installiert, damit die Pflanzen vor Hunden, Fußgängern und Radfahrern geschützt werden. Da das Beet direkt an der Straße liegt, ist es seitdem etwas schwieriger die Beifahrertür eines Autos zu öffnen. Mit etwas Vorsicht ist dies aber möglich. Ein Anwohner von gegenüber beschwerte sich mit den Worten "Das melde ich beim Ordnungsamt". Gesagt, getan. Eine Woche später schallte es von einer sehr gereizten Dame des Ordnungsamts Pankow, die uns ihren Namen wegen des Datenschutzes nicht verraten wollte, dass alle im Haus Post bekommen und diese Maßnahme bezahlen müssten. Das Beet bzw. die Umrandung stellt eine Gefahrenquelle dar, da Fußgänger in jenes stolpern könnten.



Gott sei Dank haben Nachbarn gute Verbindungen zur Lokalpolitik und Presse, sodass noch am gleichen Tag der Bezirksbürgermeister einen Ortstermin hatte. Die Herrschaften vom Amt waren dann doch etwas zu eifrig mit den Barken.

Einziges Signal, um doch noch erhobenen Hauptes aus der Sache zu kommen, war, einen Baum zu pflanzen. Das ist keine Gefahrenquelle und bei korrekte Handhabe auch legal. Ein Baum war für uns das beste Zeichen unser Engagement für unseren Kiez aufrecht zu erhalten und dem denunzierenden Nachbarn ein Mahnmal vor die Nase und das Auto zu setzen. 


So pflanzten wir gemeinsam mit vielen anderen Nachbarn und Helfern einen jungen Lindenbaum und tauften ihn JoLi. Nach den Zwillingen Jonathan und Linus, die unsere benachbarte junge Mutter just an diesem Tag mit nach Hause brachte. Der 9. Mai wird also Baumfesttag. Und die Barken müssen wieder entfernt werden.

Der Baum wurde von einer Nachbarin privat vorfinanziert. Weder die Stadt, noch die Politik wollte sich an den Kosten beteiligen. Daher sind wir auf Spenden angewiesen. Der Baum kostete insgesamt mit Material ca. 250 Euro. Die Einnahmen von meinem Solokonzert am 17. Mai kommen dem Baum vollständig zu Gute.

Hear and Now - NewJazz Improv
17. Mai 20.30 Uhr
Theaterdock, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin
Eintritt 7/10 Euro

Samstag, 27. März 2010

Ina Müller und der Grimme-Preis

Vielleicht passt der Beitrag nicht ganz zum Thema des Blogs, aber es muss dennoch raus:

Ina Müller gewinnt mit ihrer Sendung "Inas Nacht" den Grimme Preis. SPIEGEL ONLINE hat Frau Müller nach dem Gewinn interviewt. Angeblich arbeitete die Redaktion der Sendung auf diesen Preis hin. Als Ansporn, weil "Bauer sucht Frau" auch schon einmal nominiert war. Und dann machte es wohl die Runde unter den Kollegen, dass es mit dem Preis bergab gehen würde. Gott sei Dank strengten sich Frau Müller und Kollegen so sehr an, dass sie nun diesen Preis ihr eigenen nennen kann. Hat man Kultur-Deutschland da wirklich vor etwas Schlimmeren bewahrt? Ich denke eher, dass man Not gegen Elend getauscht hat.

"SPIEGEL ONLINE: Schon mal daran gedacht, noch weiter nach vorne zu rücken, in die Primetime gar?

Müller: Da bin ich zugegebenermaßen ein bisschen feige. Es gibt immer wieder Anfragen und Überlegungen, etwas für 20.15 Uhr zu machen. Aber ich merke dann, dass das immer mit unheimlich vielen Verpflichtungen und Vorgaben verknüpft ist."

Ja, warum ist denn Frau Müller zu feige in die Primetime zu gehen? Klar! Weil die Sendung innerhalb kürzester Zeit abgesetzt würde. Zu feige, breiten Erfolg zu haben. Da überzeugen wir doch lieber die Grimme-Jury. Das ist wohl irgendwie einfacher.

"SPIEGEL ONLINE: Einen Versuch mit einer großen Primetime-Show haben Sie schon gewagt: die Gala zum 100. Geburtstag von Heinz Erhardt. Zur einen Hälfte war das entfesselte Ina-Müller-Unterhaltung, aber zur anderen öffentlich-rechtliches Bestattungsfernsehen…

Müller: Immer nur feige geht nicht. Man muss auch mal etwas wagen, und deshalb habe ich das moderiert. Da gab es am Anfang viel zu diskutieren. Zum Beispiel sollten wir auf der Couch mit dem Rücken zum Publikum platziert werden, um uns dann gemeinsam die Heinz-Erhardt-Einspieler anzugucken. Ich mit dem Rücken zum Publikum? Das geht gar nicht. Womöglich hör ich dann von hinten den Anklatscher, der das Publikum animieren soll, da krieg ich Herpes! Aber ich weiß auch gar nicht, ob ich für 20.15 Uhr gemacht bin. Will man da wirklich so 'ne flapsige Person wie mich sitzen haben, die den anderen ins Wort fällt und alle Lieder mitsingen will?"

"Immer nur feige geht nicht." Das ich nicht lache. Alles nach dem Motto: Mach dich rar, dann bist du interessant. Aber ganz richtig. Ein Anflug von Selbstkritik oder fishing for understatement.... "Will man da wirklich so 'ne flapsige Person wie mich sitzen haben...?" Die Antwort: "NEIN, NEIN, NEIN".

Und man möchte auch nicht so eine flapsige Frau Müller als Grimme-Preis-Gewinnerin haben. Auch nicht spät nachts!

Danke für Ihr Interesse.

Quelle: SPIEGEL ONLINE Interview vom 27.03.2010 [http://www.spiegel.de/kultur/tv/0,1518,685641-2,00.html]

Freitag, 19. März 2010

Atmosphären und Szenenmusik

In der letzten Improshow setzte ich wieder einmal meinen Sampler ein, um Szenen mit Geräuschatmosphären zu unterstützen und auch ein akustisches Bild zu geben. Ich habe darauf geachtet, dass die Sounds nicht so sehr im Vordergrund stehen und die Szene stören. Sei es durch Lautstärke oder nervige Geräusche. So wurden einige Szenen sehr rund und wahrhaftiger.

Ein Problem, was aber nicht nur bei Geräuschatmosphären auftritt, sondern auch bei Szenenmusik im Allgemeinen, ist, dass sie oft nicht wahrgenommen wird von den SpielerInnen. So bleibt mir häufig nur das "Hinterher Hängen". Heißt: Die Musik wird kommentierend, also in vielen Fällen oft überflüssig. Ich hatte schon erwähnt, dass Szenen auch mit Musik beginnen können und nicht sofort SpielerInnen auf die Bühne springen müssen nach dem Einzählen. Das wird leider genauso wenig berücksichtigt, wie man Musik und Geräusch während einer Szene wahrnimmt.

Ein Beispiel: Die Vorgabe war "Hammer" für eine Szene. Die SpielerInnen begannen auf dem Dachboden eines Hauses und hielten etwas schweres gemeinsam fest. Meine Assoziation war eine Baustelle, also bot ich als Atmosphäre eine Baustelle an mit Hämmern, etwas Sägen, etc. Problem dabei war, dass die SpielerInnen dies überhaupt nicht wahrnahmen. Dann wird solch eine Atmosphäre sehr schnell seltsam. Man fragt sich die ganze Szene über, was die Geräusche sollen. Wenn ich den Sound wieder ausblende, fragt man sich das ebenso. Unangenehme Situation für mich.

Wie also reagieren?

Zum einen müsste mit den SpielerInnen trainiert werden, dass sie auch solche Impulse wahr- und aufnehmen, da ich mich als Musiker als aktiver Mitspieler verstehe. Das selbe gilt für Szenenmusik. Sonst wirken solche Szenen sehr schnell absurd. Und der Zuschauer wird sich sicher fragen: "Was macht der Musiker da? Das passt doch gar nicht." 

Sonntag, 14. März 2010

Improtheater & Therapie

Meine Zeit des Improtheaters Revue passieren lassend, fällt mir eine Sache auf, worin sich Amateurgruppen von Gruppen mit professionellen Background unterscheiden:

In Amateurgruppen gibt es eine Vielzahl von Menschen, die das Improtheater als Therapiemöglichkeit nutzen. Die verschiedenen (Theater-)Rollen ermöglichen es, endlich zu sein, wie man schon immer sein wollte oder eine Seite zu zeigen, die man ebenfalls hat oder gar nicht haben möchte. Dieses Scharade-Spiel wird dann gern vor Publikum, und sei es nur die eigene Gruppe, genutzt, sich zu bestätigen und Anerkennung zu finden. Generell ist auch nichts schlimmes daran. Nahezu jeder Bühnendarsteller geht der Motivation der Anerkennung durch andere nach. Jedoch mit dem unverhüllten Ziel, diese Kunstform als persönliche Therapie vor Publikum zu nutzen, kann eine Ausrede werden, sich nicht als Unterhaltungskünstler zu verstehen, sondern als Patient seiner eigenen Therapie durch Selbstbestätigung und Selbstverwirklichung unter den Augen eines nicht wissenden Publikums.

Professionelle Gruppen bestehen meist aus Personen, die eine Schauspielausbildung vorweisen können. Sie verstehen Improtheater eher als ihren Beruf, denn als Therapie. Aus Gesprächen mit Kollegen dieser Profession ist immer wieder heraus zu hören, dass ihre Motivation keine Therapie ist. Denn sonst hätte man den gleichen Fall, wie PsychologiestudentInnen, die sich selbst durch ihr Studium therapieren wollen. Fatal!

Also müsste das Credo lauten: Wenn du das Gefühl hast, dass Improtheater einen therapeutischen Charakter für dich hat, nötige kein Publikum dazu, Therapeut zu sein.