Posts mit dem Label Authentizität werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Authentizität werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Dienstag, 15. Januar 2013

Ziele von Komposition und Improvisation

Welches Ziel wird eigentlich in einer Improvisation verfolgt? Gibt es überhaupt eines? Oft werden im Improtheater die Inspirationen des Publikums als Zielvorgabe verstanden. Es wäre wichtig, dem Publikum klar zu machen, dass es darum nicht geht. Zumindest wenn man einen anderen Ansatz verfolgt. Reine Zielerfüllung macht den Weg letztlich beliebig. Dabei geht es doch viel mehr um den Weg an sich. Um das Entstehen im Moment. Wenn klar ist, dass "Anfragen" inspirieren sollen und nicht das Ziel vorgeben, kann man den Weg viel mehr genießen.

"Die Komposition hat ihr Ziel im perfekten Kunstwerk; die Improvisation in der gelungenen Performanz. [...] Das perfekte Musikstück ist formal vollkommen. Die Kriterien sind inhaltlicher, genauer: konzeptueller Natur. Daher ist eine Komposition immer auch die Realisierung einer Idee. In der Improvisation würde man nicht von Perfektion sprechen, denn Perfektion ist bezogen auf ein Muster, und um genau darum geht es bei der Improvisation nicht."
Mahnkopf, Claus Steffen (2011). "Komposition und Improvisation". In: Aspekte der freien Improvisation in der Musik. Wolke Verlag. S. 93 

Hat die Improvisation nicht auch das Ziel ein perfektes Kunstwerk zu sein? Und was bedeutet das eigentlich? Schon Richard Wagner und viel andere riefen dies als Ziel aus. Er wollte gar das Gesamtkunstwerk. Mehr wäre nicht mehr nötig. Arnold Schönberg meinte, wenn erst alle nach seiner Kompostions- und Harmonielehre Musik schreiben würden, würde nichts mehr folgen. Nun kann man das als Größenwahn abtun oder als Ziel dieser Künstler. Ich denke es geht auch bei Komposition, wie auch der Improvisation um den perfekten Moment der Aufführung. Denn was ist eine Komposition ohne Interpretation, also der Aufführung? Und was in diesem Moment perfekt ist, liegt ganz im Auge des Betrachters und im Ohr des Zuhörers. Die Umstände und die Referenzgruppe spielen eine große Rolle. Kunstwerke müssen immer im sozialen Kontext betrachtet werden. Die Komposition lebt erst durch die Performanz. Das hat sie letztlich gemein mit der Improvisation. Sonst bliebe es ein sehr theoretisches Erlebnis und das wäre schade. Sie bliebe ein Gedankenexperiment von Experten, die in ihrem Kopf die Musik erklingen lassen. Das kann wahrlich nicht das Ziel sein.

Ich denke auch, dass die Improvisation, so frei sie auch sein mag, ein Konzept verfolgen kann. Dass sie frei von Form sein will, wenn sie das Label "frei" haben will, ist verständlich. Die Komposition hat den Nachteil, dass man sie, bedingt durch ihre Fixierung, analysieren und ihr damit eine Form interpretieren kann. Ich denke, dass man dies sicher auch bei viele Improvisationen machen kann. Seien sie noch so frei. Das Gehirn will Strukturen erkennen. Und wenn sie nicht in Tönen oder Rhythmus erkennbar sind, dann vielleicht im Klang. Ein großer Aspekt in der freien Improvisation ist der Bruch. Etwas beginnt, anderes kommt hinzu und irgendwann kann man nichts mehr hinzufügen und bricht. Das ist ein Prinzip dem man eine Form unterstellen kann.

Die Improvisation kann auch die Realisierung einer Idee sein. Einer Idee, die im Moment entsteht und der viele andere Ideen voraus gingen. Man nennt es Impulse, Inspirationen oder anders. Perfektion ist ein schwieriger Begriff in der Improvisation und in der Komposition. Was ist schon perfekt. Kriterien vorher festzulegen würde ein Korsett entstehen lassen. Geht es um freie Improvisation würde sie dem widersprechen. Der Weg ist das Ziel. Die Wege zwischen Komposition und Improvisation verlaufen nur anders. Denn am Anfang eines komponierten Werkes steht die Improvisation. Das lässt die Improvisation unfertig und unperfekt erscheinen. Aber auch nur, weil die Komposition für sich den Anspruch erhebt, perfekt zu sein. Improvisatoren kommen nicht auf den Gedanken. Vor allem wenn Perfektion, Planbarkeit und Voraussehbarkeit bedeutet.

"Eine gelungene Improvisation nähert sich der Komposition an; umgekehrt erheischt eine Komposition eine Interpretation, die klingt, als wäre sie eine Improvisation."
Mahnkopf, Claus Steffen (2011). "Komposition und Improvisation". In: Aspekte der freien Improvisation in der Musik. Wolke Verlag. S. 93


Ist das wirklich so? Doch nur, wenn man Improvisation retrospektiv betrachtet, wäre sie vergleichbar und könnte zu diesem Schluss kommen. Mit welchen Kriterien gehe ich an eine Improvisation? Doch wohl formaler Natur. Und wenn die so verglichene Improvisation nicht dieses Ziel inne hat, wie kann man dann Äpfel mit Birnen vergleichen? Vor allem in der Klassik gehört es zur Aufführungspraxis, dass Solostellen, die frei gestaltet werden sollen, doch ausnotiert sind und so vorgetragen werden. Frei nach dem Motto "Hat schon mal funktioniert. Geht auch nicht besser. Vor allem kann es der Solist nicht besser, als das was da steht. Denn improvisieren hat er nie gelernt". Komposition soll in der Aufführung immer möglichst locker leicht wirken, als eben auf der Bühne entstanden. Tun das denn die meisten Kompositionen? In vielen Teilen schon. Es kommt auf das Genre an. Improvisation ist hier gleichgesetzt mit Leichtigkeit und Unbeschwertheit, vielleicht gar Authentizität. Daher versucht die Komposition sich Eigenschaften der Improvisation in ihren Bereich zu holen. Aber die noch so scheinbar ad hoc vorgetragenen Werke wirken immer perfekt, wie sie ja auch sein wollen. Eine Improvisation hat das Scheitern inne. Weil der Weg das Ziel ist und der Weg nicht vorausschaubar ist. Der Weg der Komposition ist zumindest in der Karte vorgezeichnet. Ob dann irgendwo Stau ist, zeigt sich erst bei der Aufführung. Aber wenn es passiert, würde man sicher nicht mehr von einer authentischen Stelle sprechen, sondern von einer nicht perfekten Komposition bzw. deren Aufführung. Also: Ziel verfehlt. Die Gefahr ist groß!

Freitag, 19. August 2011

Spiele was war, spiele was wahr ist - Der Versuch der Improvisation abstrakt zu begegnen

Natürlich wollen wir in der Improvisationskunst etwas Neues schaffen. Nur worauf greifen wir denn eigentlich zurück? Meistens auf das, was in unserem Gedächtnis gespeichert ist. Sei es als konkrete Erinnerung, sei es als Fähigkeit, die wir erlernt haben. Sozusagen die Technik etwas zu tun. Den Rückgriff auf das, was ich erlebt und erfahren habe, vollziehe ich jedes Mal beim Improvisieren. Ob nun im Improvisationstheater oder in der improvisierten Musik. Ich betrachte beide Improvisationsformen parallel, auch wenn sie sich nicht immer der gleichen Mittel bedienen.

So sehe ich auch die Parallele bei der Reminiszenz. Die Kunst aus dem Moment heraus, etwas Neues zu schaffen besteht zum großen Teil daraus, aus dem was war, eine Wahrheit zu erkennen. Denn nur, was für mich war, ist für mich wahr. Es ist passiert, ich weiß und glaube, dass es passiert ist. Daraus konstruiere ich meine Realität, wenn man dem Konstruktivismus Glauben schenken möchte. Was bedeutet dies nun für die Improvisation?

Während einer Improvisation erweitern wir unsere Realität. Die Zuschauer ergänzen sich ihre persönliche ebenfalls und individuell. Oft genug versuchen wir dabei eine Realität zu erschaffen, die zwar auf Erlebten basiert, aber doch meist nur im Sinne eines Klischees überhöht wird. Warum nicht Wahrhaftiges spielen? Warum nur Dinge auf der Bühne, wie gewünscht darstellen und nicht, wie sie waren?

Warum nur die Klischees nachspielen?

Ein Beispiel: In einer Bäckerei traf ich auf eine freundliche Verkäuferin, die mich begrüßte, meinen Wunsch entgegen nahm, mich bediente, abkassierte und verabschiedete. Ich entgegnete ihr das Übliche. Wenn man so will das Klischee. Was ist an dieser Szene kein Klischee, sondern wahrhaftig für mich? Merkwürdig, des Merkens würdig? Einerseits die Struktur: Zwei Personen, ein Dialog, Floskeln, Handlung, Größe des Raums, Angebot, Farben etc. Des Weiteren der Inhalt: Worte, Dialog, Emotion, Körpersprache, die wiederum eine andere innere Struktur besitzen.

Für meine spätere Improvisation kann das bedeuten, dass ich genau diese Szene so spiele bzw. in musikalische vorhersehbare Klischeebilder umsetze. Damit spiele ich gefällig gegenüber dem Publikum. Keine Schande. Aber wie wäre es aus dieser eigenen Wahrhaftigkeit nur einen Teil in seine Improvisation zu übernehmen? Die Dialoge, die reine Emotion oder die Struktur des Raumes. Aber warum nur die Klischees nachspielen? Warum nicht mit seiner Erinnerung spielerisch umgehen und sie als Inspiration für die jetzige Improvisation nutzen?

Eine Analogie zur Musik: Im Laufe der Klavierausbildung spielt man diverse Werke von Komponisten. Auch das gehört für mich zur Improvisation dazu. Denn es schult das Handwerk. Aber es schult auch das Gedächtnis. Zitate sind auch in der improvisierten Musik, bereits in der frühen Musik, einstweilen im Jazz, schon immer en vogue gewesen. Aber was kann ich von einer kleinen klassischen Sonatine für meine spätere Improvisation als Inspiration nutzen? Den Aufbau mit Einleitung, Thema, Verarbeitung, spielerisches Umgehen mit Technik. Vielleicht aber das Gefühl in neue Musik umsetzen, dass mich befällt, wenn ich an die erste Stunde mit diesem Stück denke. Vielleicht eine kurze Phrase, die Ausgangspunkt für eine neue Verarbeitung ist mit all’ der spielerischen Erfahrung, die ich in den letzten Jahren hinzu gewonnen habe. Nicht nur die Lust am Klischee und am Zitat verbirgt sich hinter der Reminiszenz, sondern auch Strukturen, die ich erinnere. Nicht nur technische Struktur, sondern Bilder, Farben, Menschen im Umfeld, ein bestimmter Tag, Moment oder Satz eines Menschen. Das, was für mich in Verbindung mit diesem Moment war und wahr ist.
Persönliche Wahrhaftigkeit erreichen und dennoch das Publikum im weitesten Sinne zu unterhalten.

Es geht um ein erneutes Er-Leben. Nicht nur nachspielen, sondern natürlich das Ergänzen mit Wünschen. Wie hätte die Situation auch sein können, positiv wie negativ? Verrate diese Erinnerung nicht für einen kurzen Lacher aus dem Publikum oder für ein gefälliges Spiel. Im Zusammenspiel mit anderen Improvisateuren besteht die Kunst darin, neue Impulse zulassen zu können, ohne auf seine eigene Erinnerung zu bestehen. Impulse annehmen als Angebot, seine eigene Geschichte verändern lassen. Der Rückgriff auf Erinnerungen ist wahrlich beeinflusst durch die Rückkoppelungs- und Beeinflussungseffekte des Publikums. Daher scheinen wohl auch meist die Lieder beim Soundcheck vor einer Show qualitativ besser. Obwohl das immer wieder ein Sreitpunkt ist in der Diskussion über Improvisation.

Ein entscheidender Faktor für mich ist Zeit. Wenn Publikum bei meiner Improvisation anwesend ist, fühle ich mich oft unter Druck gesetzt. Ich habe nicht die innere Ruhe und Zeit, mich auf das zu besinnen, was ich wirklich sagen will. Dieser Stress zwingt mich leider noch oft genug dazu, so zu spielen, wie ich es nicht will. Diese, von mir eher als negativ empfundene Rückkoppelung abzumildern oder vielleicht gänzlich ausschalten zu können, ist mein persönliches Ziel in der Improvisation: Persönliche Wahrhaftigkeit erreichen und dennoch das Publikum im weitesten Sinne zu unterhalten. Ohne die Rückkoppelung des Publikums sind wir eher befähigt in den „Flow“ zu kommen. Jenen Zustand, der als zeit- und ortslos empfunden wird. Als Punkt der völligen inneren Zufriedenheit. Das wird immer die größte Herausforderung für einen Improvisateur bleiben.

Dennoch lohnt es sich aus Erinnerungen zu schöpfen und sie für die Improvisation zu nutzen. Auch wenn sie oft geschönt in unserem Kopf gespeichert werden. Vielleicht ist es eben genau diese Veränderung, die ein Rückgriff auf unsere Erlebnisse ein Wieder-Leben oder wieder Er-Leben so spannend machen kann. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für ein Publikum, dass andere Facetten unseres Lebens erfahren kann, die gemischt sind mit Erfahrungen, die wir nach dem erinnerten Erlebnis das Bild dessen ergänzt und verändert haben. Ohne das Spannungsfeld zwischen eigener Wahrhaftigkeit, Flow und Rückkoppelung durch das Publikum, das dennoch unterhalten werden soll, würde Improvisation zu einer egoistischen Selbstbefriedigung werden. Dafür bräuchte ich noch nicht einmal diesen Artikel veröffentlichen.

Dieser Artikel wurde bereits am 20.06. 2011 bei impro-news.de veröffentlicht.