Freitag, 19. August 2011

Spiele was war, spiele was wahr ist - Der Versuch der Improvisation abstrakt zu begegnen

Natürlich wollen wir in der Improvisationskunst etwas Neues schaffen. Nur worauf greifen wir denn eigentlich zurück? Meistens auf das, was in unserem Gedächtnis gespeichert ist. Sei es als konkrete Erinnerung, sei es als Fähigkeit, die wir erlernt haben. Sozusagen die Technik etwas zu tun. Den Rückgriff auf das, was ich erlebt und erfahren habe, vollziehe ich jedes Mal beim Improvisieren. Ob nun im Improvisationstheater oder in der improvisierten Musik. Ich betrachte beide Improvisationsformen parallel, auch wenn sie sich nicht immer der gleichen Mittel bedienen.

So sehe ich auch die Parallele bei der Reminiszenz. Die Kunst aus dem Moment heraus, etwas Neues zu schaffen besteht zum großen Teil daraus, aus dem was war, eine Wahrheit zu erkennen. Denn nur, was für mich war, ist für mich wahr. Es ist passiert, ich weiß und glaube, dass es passiert ist. Daraus konstruiere ich meine Realität, wenn man dem Konstruktivismus Glauben schenken möchte. Was bedeutet dies nun für die Improvisation?

Während einer Improvisation erweitern wir unsere Realität. Die Zuschauer ergänzen sich ihre persönliche ebenfalls und individuell. Oft genug versuchen wir dabei eine Realität zu erschaffen, die zwar auf Erlebten basiert, aber doch meist nur im Sinne eines Klischees überhöht wird. Warum nicht Wahrhaftiges spielen? Warum nur Dinge auf der Bühne, wie gewünscht darstellen und nicht, wie sie waren?

Warum nur die Klischees nachspielen?

Ein Beispiel: In einer Bäckerei traf ich auf eine freundliche Verkäuferin, die mich begrüßte, meinen Wunsch entgegen nahm, mich bediente, abkassierte und verabschiedete. Ich entgegnete ihr das Übliche. Wenn man so will das Klischee. Was ist an dieser Szene kein Klischee, sondern wahrhaftig für mich? Merkwürdig, des Merkens würdig? Einerseits die Struktur: Zwei Personen, ein Dialog, Floskeln, Handlung, Größe des Raums, Angebot, Farben etc. Des Weiteren der Inhalt: Worte, Dialog, Emotion, Körpersprache, die wiederum eine andere innere Struktur besitzen.

Für meine spätere Improvisation kann das bedeuten, dass ich genau diese Szene so spiele bzw. in musikalische vorhersehbare Klischeebilder umsetze. Damit spiele ich gefällig gegenüber dem Publikum. Keine Schande. Aber wie wäre es aus dieser eigenen Wahrhaftigkeit nur einen Teil in seine Improvisation zu übernehmen? Die Dialoge, die reine Emotion oder die Struktur des Raumes. Aber warum nur die Klischees nachspielen? Warum nicht mit seiner Erinnerung spielerisch umgehen und sie als Inspiration für die jetzige Improvisation nutzen?

Eine Analogie zur Musik: Im Laufe der Klavierausbildung spielt man diverse Werke von Komponisten. Auch das gehört für mich zur Improvisation dazu. Denn es schult das Handwerk. Aber es schult auch das Gedächtnis. Zitate sind auch in der improvisierten Musik, bereits in der frühen Musik, einstweilen im Jazz, schon immer en vogue gewesen. Aber was kann ich von einer kleinen klassischen Sonatine für meine spätere Improvisation als Inspiration nutzen? Den Aufbau mit Einleitung, Thema, Verarbeitung, spielerisches Umgehen mit Technik. Vielleicht aber das Gefühl in neue Musik umsetzen, dass mich befällt, wenn ich an die erste Stunde mit diesem Stück denke. Vielleicht eine kurze Phrase, die Ausgangspunkt für eine neue Verarbeitung ist mit all’ der spielerischen Erfahrung, die ich in den letzten Jahren hinzu gewonnen habe. Nicht nur die Lust am Klischee und am Zitat verbirgt sich hinter der Reminiszenz, sondern auch Strukturen, die ich erinnere. Nicht nur technische Struktur, sondern Bilder, Farben, Menschen im Umfeld, ein bestimmter Tag, Moment oder Satz eines Menschen. Das, was für mich in Verbindung mit diesem Moment war und wahr ist.
Persönliche Wahrhaftigkeit erreichen und dennoch das Publikum im weitesten Sinne zu unterhalten.

Es geht um ein erneutes Er-Leben. Nicht nur nachspielen, sondern natürlich das Ergänzen mit Wünschen. Wie hätte die Situation auch sein können, positiv wie negativ? Verrate diese Erinnerung nicht für einen kurzen Lacher aus dem Publikum oder für ein gefälliges Spiel. Im Zusammenspiel mit anderen Improvisateuren besteht die Kunst darin, neue Impulse zulassen zu können, ohne auf seine eigene Erinnerung zu bestehen. Impulse annehmen als Angebot, seine eigene Geschichte verändern lassen. Der Rückgriff auf Erinnerungen ist wahrlich beeinflusst durch die Rückkoppelungs- und Beeinflussungseffekte des Publikums. Daher scheinen wohl auch meist die Lieder beim Soundcheck vor einer Show qualitativ besser. Obwohl das immer wieder ein Sreitpunkt ist in der Diskussion über Improvisation.

Ein entscheidender Faktor für mich ist Zeit. Wenn Publikum bei meiner Improvisation anwesend ist, fühle ich mich oft unter Druck gesetzt. Ich habe nicht die innere Ruhe und Zeit, mich auf das zu besinnen, was ich wirklich sagen will. Dieser Stress zwingt mich leider noch oft genug dazu, so zu spielen, wie ich es nicht will. Diese, von mir eher als negativ empfundene Rückkoppelung abzumildern oder vielleicht gänzlich ausschalten zu können, ist mein persönliches Ziel in der Improvisation: Persönliche Wahrhaftigkeit erreichen und dennoch das Publikum im weitesten Sinne zu unterhalten. Ohne die Rückkoppelung des Publikums sind wir eher befähigt in den „Flow“ zu kommen. Jenen Zustand, der als zeit- und ortslos empfunden wird. Als Punkt der völligen inneren Zufriedenheit. Das wird immer die größte Herausforderung für einen Improvisateur bleiben.

Dennoch lohnt es sich aus Erinnerungen zu schöpfen und sie für die Improvisation zu nutzen. Auch wenn sie oft geschönt in unserem Kopf gespeichert werden. Vielleicht ist es eben genau diese Veränderung, die ein Rückgriff auf unsere Erlebnisse ein Wieder-Leben oder wieder Er-Leben so spannend machen kann. Nicht nur für uns selbst, sondern auch für ein Publikum, dass andere Facetten unseres Lebens erfahren kann, die gemischt sind mit Erfahrungen, die wir nach dem erinnerten Erlebnis das Bild dessen ergänzt und verändert haben. Ohne das Spannungsfeld zwischen eigener Wahrhaftigkeit, Flow und Rückkoppelung durch das Publikum, das dennoch unterhalten werden soll, würde Improvisation zu einer egoistischen Selbstbefriedigung werden. Dafür bräuchte ich noch nicht einmal diesen Artikel veröffentlichen.

Dieser Artikel wurde bereits am 20.06. 2011 bei impro-news.de veröffentlicht.

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