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Sonntag, 3. November 2013

Kleine Grundlage für Impromusiker

Mich haben schon öfters Musiker, die beim Improtheater die Musik machen, gefragt, was sie spielen sollen oder was sie noch anders machen können, wenn sie Lieder improvisieren. Was sie spielen sollen, habe ich ihnen natürlich nicht gesagt. Immerhin widerspräche das der Natur der Improvisation. Aber ich habe weniger erfahrenen Musikern immer nahegelegt, sich mit der Stufentheorie zu beschäftigen. Diese hier im Detail zu erklären würde zu weit führen. Ich möchte es kurz machen und ein kleines Beispiel bringen.

Wir nehmen der Einfachheit halber die Tonart C-Dur. Die Tonleiter wird aus diesen Tönen gebildet:

c d e f g a h c

Jeder Ton entspricht einer Stufe, die durch nummeriert wird. C ist Stufe I. D Stufe II usw.

Quelle: wikipedia
Daraus kann man Tonleiter eigene Akkorde bauen. Auf dem Klavier sieht das am einfachsten aus und ist gut nachzuvollziehen. Lässt man eine weiße Taste frei, so ergeben sich schon die Tonleiter eigenen Akkorde.

Quelle: wikipedia

Es ergeben sich Akkorde mit folgender Bezeichnung:

Stufe I: C
Stufe II: Dm
Stufe III: Em
Stufe IV: F
Stufe V: G
Stufe VI: Am
Stufe VII: H verm.
Stufe VIII = Stufe I

Dies sind die Bausteine für unsere improvisierte Liedbegleitung. Nichts anderes sind Improsongs im Improtheater. Eine Grundregel sei vorweg noch erklärt. Die Beziehung der Stufe I und Stufe V ist am prägnantesten. Stufe V (G) wird auch als Dominante bezeichnet und führt immer wieder zu Stufe I (C), der Tonika, zurück. Oft wird die V auch mit einer kleinen Septime erweitert und wird damit zum Dominant-Sept-Akkord G7. Auch ist zu berücksichtigen, dass jeder Akkord die Dominante einer Tonart sein kann. Meist in Dur und noch verstärkerter mit der kleinen Septime als Dominant-Septakkord. Zu meinem Beispiel. Hier die Übersicht:

Teil A
||: C | Em | F | G7 :||

Teil B
||: C | F | Am | G7 | :||


Teil A könnte als Strophe fungieren, Teil B als Refrain. Die Kombinationen, die ich gewählt habe stammen einzig aus den Tonleiter eigenen Akkorden. Das G7 am Ende fürt wieder zum Anfang der Schleife, auch Turn-Arounds genannt. Das macht es den Improspielern leicht, zu merken, wo der Anfang und wann eine Schleife vorbei ist. Auch im B-Teil habe ich auf Eindeutigkeit geachtet. So ist der Refrain nur eine kleine Abwandlung der Strophe. Will man es unerfahrenen Improspielern leichter machen, spielt man die Dominante (oder Stufe V des Folgeakkords) sogar bis zu einem oder zwei Takten lang. Da die kleine Septime so sehr nach Auflösung drängt, weiß eigentlich jeder, welcher Akkord folgen muss. Das haben wir bereits bei den einfachsten Volks- und Kinderliedern gelernt und ist kaum aus unseren Hirnen zu streichen.

Ein weiteres Beispiel


Teil A
||: Am | Em | F | G :||

Teil B
||: C | Dm | G | C :||

Hier habe ich mit der Stufe VI begonnen und es existiert auf den ersten Blick nicht wirklich die V-I-Verbindung. Da Am jedoch die parallele Moll-Tonart von C-Dur ist, mit den selben (fehlenden) Vorzeichen, sind sie verwand. G ist immer noch ein geschmeidiger Übergang zu Am, da die Akkorde immer noch Tonleiter eigen sind. Will man es ganz klassisch genau nehmen, könnte man auch G ersetzen mit der Stufe V der Tonart a-moll, aber das würde hier zu weit führen. E ist dann die Dominante in Am und führt noch eindeutiger zurück zur Tonika, der Stufe I. Wir bleiben aber bei C-Dur. In Teil B beginne ich mit C. Das passt hervorragend zum Teil A, da er mit G, also der Stufe V, endet. Diese führt laut Theorie perfekt zur Stufe I, C-Dur. Es schließt sich eine Kombination aus I-II-V-I an. Diese Verbindung ist widerum sehr beliebt in Jazz, Pop, Schlager und vielen anderen Genres. Auch hier gibt es wieder eine V vor der I und alle Akkorde sind Leiter eigen.

Es sind sehr viele Kombinationen nur mit dieser einen Tonart möglich. Sie ist in allen Stilen verwendbar. Man muss nur das Begleitpattern anpassen oder, falls ihr mit Begleitautomatik eines Keyboards spielt, einfach mit anderen Styles zu spielen.

In andere Tonarten wechseln


Das ist recht einfach. Wir müssen nur die Beziehung der Stufe I und V beachten. Da die V immer zur I führt, können wir theoretisch aus jedem Akkord eine Dominante machen. Ein Beispiel:

C-Dur: C | Dm | G | Am  -   (D-Dur) A7 | D | Em | A | D

Aus der Stufe VI von C-Dur (a-moll) mache ich einfach ein A-Dur. A-Dur ist die Stufe V von D-Dur. Damit ist der Weg bereitet für den Tonartwechsel zu D-Dur. Dies kann innerhalb eines Turnarounds oder beim improvisieren von zwei verschieden musikalischen Teilen interessant sein. Ein einfaches Hilfsmittel.

Probiert es aus. Es gibt viel zu entdecken. Aber denkt dran: Selbst wenn ihr diese Kadenzen übt, improvisiert auf der Bühne und bleibt nicht in Schleifen stecken, die ihr dann aus einer Unsicherheit heraus immer wieder spielt. Das langweilt schnell alle. Vor allem Euch selbst! Um neue Kadenzen zu entdecken, improvisiert nicht nur, sondern spielt Kompositionen und schaut, was interessant und spannend klingt.




Samstag, 8. Oktober 2011

Vokabeltraining - Kommunikation zwischen Improspieler und Musiker

Laut Systemtheorie existieren soziale Systeme nur durch Kommunikation. Heißt: Wer nicht mit einander spricht, ob verbal oder nonverbal, hat keine Beziehung zu einander. Sicherlich etwas herunter gebrochen, doch ganz brauchbar im Ansatz. Probleme in einer zwischenmenschlichen Beziehung entstehen in den meisten Fällen auf Grund fehlender oder mangelhafter Kommunikation der Beteiligten. Und selbst, wenn miteinander gesprochen wird, heißt es noch lange nicht, dass das Gegenüber versteht, was gesagt wurde. Wichtig ist dabei eine gemeinsame Sprache zu sprechen oder sich auf ein gemeinsames Vokabular zu einigen.

In der Kommunikation zwischen Improspielern und Musikern herrscht oft eine Schieflage, weil Improspieler eben nicht die Vokabeln der Musik kennen. Daher rühren auch Aussagen, wie "schöne Musik", die so unkonkret sind, dass sie schon fast beleidigen, obwohl gut gemeint. Ich möchte eine kleine Hilfe geben, welche Vokabeln für den Improspieler hilfreich sind, um auszudrücken, was sie von ihrem Musiker wollen. Diese Beschreibungshilfen kommen zum Großteil aus der Musikanalyse oder Spielanweisungen und betreffen vor allem Tempobezeichnungen, Charakter und Artikulation. Für viele schon in der Schule ein Graus, bedient sich die Musikanalyse jedoch einem einfachen Mittel: der Metapher. Viele musikalische Zusammenhänge werden nicht nur mit Fachtermini erläutert, sondern gerade in der Musikwirkung verwendet man Bilder. Ich werde versuchen neben Fachbegriffen auch Anregungen für Bilder zu geben, die eine Kommunikation zwischen Improspielern und Musikern vereinfachen können. Jedoch bleibt es immer dem sozialen System überlassen, welche Sprache gemeinsam gesprochen wird. Daher ist es immer hilfreich gemeinsame Vokabeln zu entwickeln. Die erhöhen letztlich auch das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Tempo - Tempobezeichungen

In der klassischen Musik gibt es italienische Begriffe für Tempoangaben. Da dies nicht sehr praktikabel ist für Nicht-Musiker, gebe ich Anregungen in deutscher Sprache. Man sieht sehr gut, wie bildhaft das sein kann. Die Auflistung beginnt bei einem langsamen Tempo und steigert sich zu einem schnellen

breit, schwer, langsam, ruhig, gehend, schreitend, mäßig, schnell, munter, lebhaft, lebendig, sehr schnell, äußerst schnell. rasend, rasant

Ergänzend gibt es Charakterbezeichnungen, die auf das Tempo bezogen werden können:

lethargisch, phlegmatisch, lieblich, gesanglich, getragen, geistvoll, mit Ausdruck, mit Pathos, majestätisch, marschierend, zart, mit Liebe, heiter, schwungvoll, feurig, mit Leidenschaft, fröhlich, hektisch, hysterisch

In der moderneren Musik wird das Tempo nicht mehr mit italienischen Begriffen angegeben. Man führte die "Schläge pro Minute" bzw. "Beats per minute", abgekürzt bpm, ein. Während die althergebrachten Tempoangaben eher Gefühlssache und analog daher kommen, ist die Zahl der bpm eine digitale Variante. Auch wenn niemand ohne Metronom in der Lage sein dürfte, exakt 127 bpm zu spielen, so ist eine Zahl dennoch hilfreich, wenn man keine der oben genannten Begriffe verwenden möchte. Ich lasse mir in Improvisationen auch gern vom Publikum eine Zahl zwischen 60 und 150 geben und meine damit bpm, ohne dass ich dies vor der Abfrage erkläre. Ich treffe dann zwar auch nicht die 78 bpm, jedoch weiß ich, dass es ein langsames Stück wird.

Wie also mit bpm umgehen?

Auf der Website http://a.bestmetronome.com/ gibt es eine Online-Variante eines Taktgebers. Zu hören sind die Grundschläge des Rhythmus, das Metrum. In einem Techno-Rhythmus ist das Metrum durch die Bass-Drum hörbar gemacht und verstärkt.

Probiert aus, welche Zahlen welches Tempo bedeuten. In einem Keyboard oder elektronischen Piano ist meist ein Metronom eingebaut.


Beispiele:


Liebesballade: ca. 60-90 bpm
ruhiger Bossa Nova: ca. 105-115 bpm
tanzbares Lied: ca. 120-130 bpm
schneller Rocksong: ca. 140-160 bpm
schneller Swing, Bepop: ca. 160-220 bpm


Jede Musik hat ihren Charakter, jede Musik macht Bilder im Kopf.

Wenn es nicht nur um das Tempo eines Liedes gehen soll, bedient Euch dessen, was Ihr als Improspieler ständig tut: Assoziationen. Sie sind Bilder in unserem Kopf. Was stellt Ihr Euch vor, wenn es ein getragener, langsamer Song werden soll? Beschreibt das Bild mit Euren eigenen Worten und lasst das Bild vom Musiker mit seinen Worten ergänzen, um heraus zu finden, ob er verstanden hat, was Du meinst. Malt zusammen das Bild aus. Es wird ja auch ein gemeinsamer Song, Eure gemeinsame Improvisation, also auch Eure gemeinsame Assoziation, in die jeder seine mit dazu tut. Stellt Vergleiche an!

Beispiele

Die Strophe ist wie ein alter König, der auf seinem Thron sitzt und gütig auf sein Volk schaut. Im Refrain versucht sein Gegenspieler ihn zu vergiften. Am Ende stirbt der König einen langen qualvollen Tod. Der Gegenspieler triumphiert und feiert mit seinem Gefolge.

Das Lied ist wie ein warmer Sommerwind auf einem weiten Feld. Die Sonne scheint dir mitten ins Gesicht. Du bist glücklich und könntes springen und die Welt umarmen vor Liebe.
Ein betrunkener turkelt die Straße entlang und sucht seinen Wohnungsschlüssel. Dabei erinnert er sich an einen Abend in einem verrauchten Jazzkeller.

Das absolut Böse spricht aus Dir und Deiner verzerrten elektrischen Gitarre. Alles sind schwarz gekleidet und der Rhythmus des Songs hämmert gnadenlos. Düster und kraftvoll klingt der Teppich auf dem der wütende Gesang zu hören ist.

Man muss sicherlich nicht gleich eine ganze Geschichte erzählen. Immerhin sollte der Musiker auch seinen Freiraum behalten, den er in der Improvisation assoziiert und in Musik umsetzt. Jedoch helfen bildhafte Vokabeln eine gemeinsame Vorstellung von der Musik zu bekommen. 

Strophe, Refrain, Riff, Lick....

Eine sich wiederholende Folge von Harmonien bzw. Akkorden, worauf eine Melodie gesungen werden kann, kann wie folgt benannt werden:

Turn Around, Schleife, musikalischer Teil/Part, Kadenz

Eine längere wieder erkennbare Melodielinie kann Thema oder Hookline genannt werden. Sie ist charakteristisch für den Song und macht meistens den Refrain aus.

Kleinere Melodielinien können Linie, Motiv, Lick oder Riff genannt werden. Meist sind dies wiederholte Teile, die in der Begleitung stecken. Eines der berühmtesten Riffs kennt man aus "Smoke on the water" von Deep Purple. Rockmusik arbeitet sehr viel mit Riffs. Ob im Bass oder in den Gitarren.

Strophe, Bridge und Refrain sind verschiedene musikalische Teile eines Liedes, die oft auch verschiedene Harmonien haben und sich daher von ein ander absetzen. Das muss aber nicht die Regel sein.

Musik in der Szene

Die Bildhaftigkeit in der Kommunikation bleibt auch hier ein guter Weg. Drei Beispiele für Musik in Szenen und ihre Bezeichung:

empathisch: Musik vermittelt Gefühle der Figuren/Szene
kontrapunktisch: Musik setzt Gegensatz zur Szene oder einzelnen Figuren
didaktisch: Musik suggeriert Distanz/Ironie
Mickey Mousing: Musik kommentiert, zeichnet und untermalt Handlungen/Figuren Comic-haft


Diese Auflistung ist sicher nicht vollständig und vielleicht benutzt Ihr andere Vokabeln. Gern könnt Ihr die Kommentarfunktion zum Ergänzen benutzen. Sie sollen anregen, miteinander über die Musik zu sprechen und konkreter werden zu können in Feedbacks oder Anweisungen. Das wichtigste am gemeinsamen Improvisieren ist und bleibt die Kommunikation. Redet miteinander über das Reden mit einander!



Literatur/Links:


http://de.wikipedia.org/wiki/Tempobezeichnungen#Gebr.C3.A4uchliche_Tempoangaben
http://www.bestmetronome.com
http://de.wikipedia.org/wiki/Hookline

http://members.chello.at/suntinger/pdf/Filmanalyse/Vokabular%20Filmanalyse.pdf
http://www.so-seidel.de/ANALYSE/formulierung.pdf

Sonntag, 14. November 2010

Du kannst nicht singen! Setzen! Sechs!

Singen liegt in der Natur des Menschen. Es fördert das Gemeinschaftsgefühl und wurde bereits in frühester Zeit im Alltag und in Ritualen praktiziert. Der Klang einer Orgel ist der menschlichen Stimme nachempfunden, der Atem des Menschen gleicht dem Luftstrom in dem Instrument, das oft als Mutter aller Musikinstrumente bezeichnet wird. Die früheste Form der Mehrstimmigkeit im 9. Jahrhundert war Gesang. Historisch betrachtet ist es nicht verwunderlich, dass die erste Form der mehrstimmigen Gesangs improvisiert war. Viele Völker der Erde improvisieren in ihren Ritualen bis heute. Sogar mehrstimmige improvisierte Chorsätze von Volkswaisen vor allem in östlichen Ländern sind keine Seltenheit. Das Singen gehört zum Leben. Generationsübergreifend werden Lieder gesungen und weitergegeben. Doch halt! Dies soll keine Werbung für mehr Volkslieder in deutschen Wohnzimmern sein. Es soll nur zeigen, dass das Singen etwas sehr natürliches und das gesangliche Erfinden von Musik eine viel ältere Tradition hat, als die scheinbar so perfekte Kunst der Komposition.

Millionen von Menschen in Deutschland wurden und werden nachwievor systematisch traumatisiert. Und das nicht etwa in bekannten Schreckenssituationen, sondern in einer Einrichtung, die uns positiv auf das spätere Leben vorbereiten soll: Die Schule und ihr Musikunterricht. Die Peiniger: Lehrer, Eltern, Familienangehörige, Freunde. Die Opfer: Schüler, die die Tophits der Volkslieder allein und vor versammelter Klasse ohne Begleitung eines Instruments vortragen müssen. Oft hören kleinen Volksliedsänger am Ende ihres Auftritts: "Du kannst nicht singen! Setzen! Sechs!". Spüren Sie bereits Gänsehaut? Dann sind Sie auch ein Opfer dieser musikalischen Nötigungspraxis vieler Musiklehrer an allgemeinbildenden Schulen. Und den meisten ist nicht einmal bewusst, wie schwer sie durch dieses Erlebnis gepeinigt wurden. Seitdem haben die meisten nie wieder nur eine Zeile ohne diverse Alkoholika und in der Gruppe mit anderen Gepeinigten singen können. Eine Tragödie.

Nur wer ist nun Schuld? Sind es wirklich die Lehrer, die eigentlich ja nur ihrem Lehrplan folgen, auf dem der Punkt "Liedkontrolle" steht? Wohl kaum kann man das Böse in den Pädagogen finden, zumal es auch sehr viele Gegenbeispiele gibt, wie so oft und ihrem handwerklichen Verständnis sei Dank.

Ich möchte versuchen das Phänomen der Annahme "nicht singen können" zu umreißen. Es taucht immer wieder zu Beginn meiner Workshops zum Thema "Improvisierter Gesang" auf. Zu Beginn erzählen mir acht von zehn Erwachsenen Menschen, dass sie nicht singen können. Das Spektrum reicht von "Ich singe heimlich allein für mich" über "Ich habe seit der Schule keinen einzigen Ton gesungen" bis "Ich habe Schläge zu Hause bekommen, wenn ich falsch gesungen habe". Bei solchen Aussagen läuft es mir kalt den Rücken herunter. Viele leben auch mit dem Widerspruch "Ohne Musik kann ich nicht leben." oder "Ich singe für mein Leben gern", im geschützten Rahmen eines Workshops trauen sich diese Menschen nicht einen Ton zu singen.

Um dieses Trauma oder diese Blockade zu lösen gehe ich von der Grunddefinition "Singen" aus. Ein gutes Beispiel für die unbewusste Fähigkeit Singen zu können, ist die Verabschiedung einer Verkäuferin mit dem lang gezogenen Wort "Tschüssiiiiiiiii!". Die Verkäuferin würde nicht von sich behaupten, dass sie singen kann, jedoch hält sie jedes Mal, wenn sie Kunden verabschiedet einen Ton auf dem I und intoniert hervorragend. Ich gehe also davon aus, dass Singen erst einmal nur das "Langziehen" von Vokalen ist. Ähnlich wie Tanzen in Grunddefinition die Bewegung zu einem Rhythmus oder zur Musik ist. Was hierbei den Teilnehmern genommen werden soll, sind die Bewertungskategorien "gut" und "schlecht". Es geht nur um die Fähigkeit und die körperliche Voraussetzung für das Singen. Jeder Mensch, der einen funktionierenden Stimmapparat hat, ist in der Lage zu singen und kann singen. Aus Erfahrung hilft es Teilnehmern, wenn zunächst die Aufgabe darin besteht, möglichst dissonant zu sein. Sie sollen also so schräg, wie möglich im Vergleich mit ihren Nachbarn singen. Es geht erst einmal nur um den Zusammenklang von mehreren Menschen. Die Teilnehmer finden es erstaunlich, wie schön es sein kann, allein den Chor zu genießen und sei er noch so dissonant. Ich argumentiere hierbei gern, dass Harmonie ohne Dissonanz nicht möglich wäre bzw. schrecklich klingen würde. Ein Orchester, in dem jedes Instrument hundert prozentig richtig nach Herzzahl gestimmt wäre, würde grausam klingen. Nur die leichte Verstimmung macht einen für uns angenehmen Zusammenklang möglich. Wenn wir es auf die zwischenmenschliche Ebene heben wollten, könnte man sagen: Fehler machen einen Menschen interessant. Nun ist unser menschliches Gehirn und das Gehör jedoch so konstruiert, dass wir uns in Bruchteilen von Sekunden mit anderen synchronisieren können. Das gilt für die Körpersprache, wenn wir uns sympathisch sind, genauso wie für einen gleichen Ton, den wir gemeinsam singen wollen. Improspieler werden es aus Gruppensongs kennen, andere vielleicht aus Fangesängen in Fußballstadien: Eine Gruppe einigt sich auf eine Melodie und auf Töne, die zusammen passen und klingen. Es wird automatisch richtig, wenn es die Gruppe gemeinsam tut.

Ist die Hürde also erst einmal genommen, überhaupt zu singen, sind viele nachwievor unzufrieden, dass sie schief singen. Dies kann man mit mehreren Schritten verbessern. Wenn wir die Kategorie "gut" verwenden wollten, wäre für ein "gut Singen können" ein regelmäßiges Training bzw. Gesangsunterricht nötig. Viele haben auch einfach Naturttalent. Zum Singen gehört jedoch in erster Linie ein gutes Gehör. Das gilt für Musik im Allgemeinen. Der erste Weg Musizieren zu erlernen geht über Musik hören. Vor allem selektives und bewusstes Hören und imitieren, hilft Musik zu erlernen. Zwei weitere Dinge sind aber auch für den Hausgebrauch oder der Improbühne hilfreich: Erstens gilt immer, dass ein langweiliges Gesicht auch einen langweiligen Ton hervorbringt. Ein kleines Lächeln und Achten auf die Spannung und Ausstrahlung hilft bereits den Ton besser halten zu können. Zweitens gilt auch hier das Behauptungsprinzip, wie beim Theaterspiel auch. Je mehr ich mir selbst bewusst bin, dass ich singe und das auch will, desto besser wird der Ton gehalten werden können. Eine zittrige, schlechte Intonation hat auch damit zu tun, dass man unsicher ist. Sich ein inneres Bild zu machen, von dem was ich Singen will, hilft auch bei der Umsetzung. Ähnlich der Imagination von Wochentagen, ist es möglich sich eine Vorstellung von Musik zu machen. Dazu hilft es sich Dinge begreifbar, im wahrsten Sinne des Wortes, zu machen. Dies kann von Treppenstufen bis zu Wellenbilder für Melodien gehen. Da muss jeder selbst, sein persönliches Bild finden.

Ein weiterer Schritt hin zum improvisierten Singen ist, die Informationsebene auszuklammern. Viele sind überfordert, wenn sie eine Melodie und auch noch einen sinnvollen Text erfinden müssen. Und selbst, wenn sie es nicht müssen, legen sie sich es selbst auf, weil sie orginell sein wollen. Auch das passiert häufig beim Improtheaterspiel. Die Regel "Sei nicht orginell" fruchtet auch hier. Eine gute Möglichkeit ist das Singen in Gromolo bzw. Kauderwelsch. Als Inspiration kann ein Land und die eigene Vorstellung der jeweiligen Landessprache sein. Die Teilnehmer können sich nun ganz auf die Melodie konzentrieren. Man kann hierbei sogar die Ebene "Rhythmus" herausnehmen, in dem man eine Phrase auf liegenden Akkorden singt. Es gibt immer hin 12 Halbtöne, die kombiniert werden können. Da setzt ein treibendes Metrum des Musikers nur zusätzlich unter Druck, wenn man die eins nicht findet.

Möchte man doch Text singen, geraten viele in die "Reim dich oder ich fress' dich-Falle". Es wird dann immer sofort auf die Zeile gereimt, die gerade erfunden und vorgegeben wurde. Aber allein erst eine Zeile später zu reimen, nimmt sehr viel Stress aus der Sache und klingt viel interessanter und schwieriger, obwohl das viel einfacher ist. Eine Reimform ABAB ist also viel sinnvoller, als AABB. Dennoch weise ich immer wieder darauf hin, dass sich Texte nicht immer reimen müssen.

Eine hilfreiche Information für die Improsänger ist auch, dass sie in Songs nicht immer die Handlung vorantreiben müssen. Wie viele Songs müssen wir hören, die mit "Ich ging dort hin, habe den getroffen und habe das gemacht" beginnen. Atmosphäre zu machen und zu beschreiben in Liedern ist keine Schande und orginell genug!

Eine Grundform des Theaterspiels ist die Zug-um-Zug-Spielweise. Dieses kann man auch im Gesang und vor allem Duett nutzen. Wichtig hierbei ist auch, dass man sich erstens Zeit lässt und sich zweitens auch der Reimform ABAB bedient. Zeit lassen kann auch bedeuten, dass man dem Musiker einfach eine Strophe für ein Solo lässt. Der Sänger kann durchatmen und der Musiker kann sich auszeichnen. Zug um Zug eben.

Teilnehmer, die große Hemmungen vor dem Singen und dem damit verbundenen emotionalen Öffnen hatten, konnten mit der Wegnahme der Bewertungskategorien Gut/Schlecht, sowie der Informationsebene in Liedern, große Fortschritte und Erfahrungen mit dem Singen machen, obwohl sie Jahre lang keinen Ton sangen. Das Reimschema ABAB und die Information, dass man sich Zeit lassen kann, weil Bühnenzeit anders vergeht, als Zuschauerzeit, sind ebenso sinnvoll und hilfreich für das improvisierte Singen. Mit diesen wenigen Tipps haben es bisher neun von zehn Teilnehmern geschafft, ein Lied vollständig zu improvisieren und es im Nachhinein als große emotionale Erfahrung zu beschreiben. Einige von ihnen geben sogar an, das Singen zu einer regelmäßigen Gewohnheit werden zu lassen, weil es großen Spaß macht vor allem mit anderen zusammen. Und in ein paar Jahren sehen wir uns im Workshop zum Thema "Improvisierter mehrstimmiger Chorsatz". Unsere vornehmlich osteuropäischen Nachbarn würden sich wundern, dass wir dafür Workshops machen müssen, während es dort von Kindesbeinen an üblich ist, Volksweisen in improvisierten Chorsätzen zu singen. Einfach weil gemeinsam Singen Spaß macht!

Freitag, 7. August 2009

Schnelle Begleitung, ruhiger Gesang

Oft höre ich von Improspielern, dass in einem Song die Begleitung viel zu schnell war. Ich entgegne oft, das dies sehr relativ sei. Denn: Selbst wenn z.B. ein schneller Country oder eine treibende Samba die Begleitung bildet, ist es doch möglich mit großen Notenwerten darüber zu singen. Mein Beispiel dafür: Brazil, Samba-Begleitung, sehr hektisch, viel Percussion. Die Melodie: Sehr lange Notenwerte. Besonders zu Beginn. Sie geben die Möglichkeit auf einem langen Ton zu verharren und dann immer noch das schnelle Tempo in die Melodie einfließen zu lassen. Vielleicht ist das auch ein Problem, wenn in Improsongs viel zu viel Text und Story untergebracht wird. Es gibt zahlreiche Beispiele, die mit wenig Text oder Melodie auskommen und trotzdem sehr schöne Songs sind...