Montag, 3. Oktober 2011

Tiefkühlpizza oder Sterneküche - Der Mut zum Enttäuschen

Der Mensch kategorisiert gern. Auch in der Theorie wird Improvisation gern klassifiziert und in Schubladen gesteckt. Fülle ich nur einen Rahmen, erschaffe ich den Rahmen im Augenblick mit, bin ich wirklich völlig frei? Fritz Hauser schreibt in seinem Aufsatz "Fragen über Fragen" über Improvisation:

"Gold oder Sch... [...] das ist der Preis, den man dafür bezahlt, dass man sich nicht im tradierten Formen, fixierten Abläufen und vorgeschriebener Gestaltung verbündet." (S.31)

Als Improvisator wird einem oft nachgesagt, man ist ein Mensch des Risikos. Man riskiert etwas. Man riskiert, dass etwas schief gehen kann, nicht zündet, funktioniert. Aber was heißt das? Dem Publikum gerecht werden? Woher soll man wissen, was das Publikum erwartet? Klar, man kann sie fragen. Aber wo bleibt dann das Risiko? Ich möchte ja riskieren. Ich würde es jedoch anders formulieren:

Der Improvisateur hat im besten Fall Mut. Und mutig soll er seine im Moment entstehende Kunst einem Publikum präsentieren ohne Angst vor Enttäuschung. Der Mut zum Enttäuschen ist der Schlüssel zu einer freieren Improvisation.

Und doch sortiert man Improvisation in Kategorien. Der Mensch braucht diese Ordnung des eigentlich nicht Sortierbaren. Es gab schon viele Versuche, aber Hauser schafft es die Kategorien in einem alltäglichen Bild zu verdeutlichen: Kochen und Essen.

So erläutert er die unterschiedlichen Herangehensweisen an Stegreif-Kunst wie folgt:

  1. "Improvisation auf simpelster Stufe: Der Griff zur Fertigpizza. Damit ist zwar der Hunger gestillt, das Essvergnügen allerdings nicht hochrangig." 
  2. "Der Griff zur Fertigsauce, die dann durch leichte Manipulation (Gewürz, Kräuter, Rahm, Alkohol...) verfeinert wird. Ein immerhin schon ansatzweise kreativer Akt."
  3. "Herausfordernder dann die ungewürzte Sauce, die persönlicher Gestaltung bedarf. Zwar im Ansatz geschmacklich festgelegt, aber durchaus gestaltbar."
  4. "Einkauf der Zutaten und die Fertigung dieser Sauce nach eigenem Rezept."
  5. "Jetzt kommt die eigene Kreativität zum Zuge und es beginnt spannend zu werden: der Gang zum Markt ohne konkrete Kochidee, die Inspiration hervorgerufen durch das Angebot."
  6. "Dann die echte Herausforderung an spontane Kreativität: der Kühl- und Küchenschrankinhalt bestimmt die Ausgangslage, man improvisiert mit dem, was man vorfindet."
  7. "Als Höhepunkt die Freie Improvisation: Es klingtelt, die Gäste treffen ein, du hast die Einladung vergessen und den Einkauf verpasst, nichts ist da, außer einem riesigen Albtraumgefühl. Du bittest trotzdem frohgemut herein und erzählst der hungrigen Schar von Gerüchen und Geschmäckern, von knusprigen und sanften Konsistenzen, von Verbindungen und Ergänzungen. Du schwärmst von Speise- und Getränkefolgen, die sich hochschaukeln zum einmaligen Genuss und beschreibst die Glücksgefühle, die sich im Körper und in der Seele ausbreiten. Und wenn der Applaus sich gelegt hat, sind die Teller immer noch leer, aber die Erinnerung schön." (S. 32-33)
 Wo finden sich Improtheater, Langform und Theatersport wieder? Geben wir dem Publikum die Tiefkühlpizza oder die Vorstellung eines der besten Gängemenus, das sie in diesem Moment hätten erleben können? Wo lässt man sich einsortieren? Und reicht manchmal nicht einfach eine Fertigsauce aus, die ihren Zweck erfüllt?

Wollen wir also Spitzenkoch werden oder solide satt machen? Mache ich künstlerische Hausmannskost? Und wer bestimmt das überhaupt? Ich bin sehr zufrieden, wenn es geschmeckt hat und ich satt geworden bin. Aber ich lasse mich gern in die Welt der Sterneküche entführen und erzähle noch lange von dem herrlichen Menu, das mir geboten wurde. Schwierig wird es nur dann, wenn wir Instantgerichte anbieten, aber sie unter die silberne Glocke eines der nobelsten Restaurants der Stadt stecken. Man kann versuchen in die obersten Gourmetregionen vorzudringen. Aber man muss sich eingestehen, dass es manchmal nur zum Sattwerden gereicht hat. Solange man dies einschätzen kann, läuft man nicht Gefahr eine Mogelpackung anzubieten. Wir müssen uns eingestehen, dass man eben manchmal nicht aus Scheiße Gold machen konnte. Aber manchmal kann man aus wenig, wenigstens noch etwas mehr machen. Ob es Gold wird, kann man getrost dem Zuhörer überlassen. Doch diese Gelassenheit gilt es zu erreichen.

Guten Appetit! 

Literatur 


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