Donnerstag, 15. Mai 2014

Virtuosentum vs. Clownerie

Am 21. Juni spiele ich mit meinen Kollegen Hear and Now im Rahmen der Fête de la Musique im Kulturforum Berlin Hellersdorf. Klingt erst einmal nicht danach, als würde wir dort hin passen, aber da wir unbedingt mehr spielen wollten, habe ich mich sehr gefreut eine Zusage einer Location zu bekommen. Man muss sich als Act nämlich bewerben und die Bühnen suchen dann aus, wen sie auftreten lassen wollen. Alles natürlich unendgeltlich, wie üblich bei der Fête. Ich telefonierte mit einer netten Dame vom Kulturforum und wir sprachen darüber, was wir überhaupt machen. Das ist jedes Mal schwer zu sagen, da wir nicht wirklich das Label Jazz haben. Wir klingen oft nicht nach Jazz und manchmal sehr. Improvisation lässt sich eben schwer in die Schublade stecken. Gut, dass die Dame unsere Videos vorher gesehen hat. Sie meinte, wir würden gut ins Programm passen, wo andere Jazz und "leichte Klassik" (also Pop Klassik mit einfachen, bekannten Melodien, vermute ich mal. Klassik Radio lässt grüßen. Bloß keinen überfordern... ;)) spielen. Also werden wir gesandwicht von dort wohl schon bekannten Acts. Gute Sache und eigentlich auch egal, denn wir wollten einfach nur spielen. Unser Label heißt also nun Jazz, Experimentell, Improvisation. Passt ja auch. Bin gespannt, wer kommt. Die Jazzpolizei vermute ich. Also ältere, graue Herren, die guten Dixiland erwarten. Naja, den bekommen sie jedenfalls nicht.

Musik-Clown
Ungarische Briefmarke 1965
Quelle: wikimedia.org
Mir ist nur aufgefallen, dass die Dame mich fragte, ob ich denn den anderen Musiker kenne. Immerhin ist er verwand (der Vater oder so) mit einem bekannten Dirigenten. "Aha", dachte ich. "Keine Ahnung", sagte ich. Ich schaute mir aber aus Neugier natürlich die Website an. Da fand ich also einen 18 jährigen Pianisten und Gitarristen. Der bezeichnet sich selbst als Ausnahmetalent. Presseartikel, die nur davon sprachen, wie schnell er spielen konnte, konnte ich dort finden. Und dass er seit dem 6. Lebensjahr Klavierunterricht hat. Aha. Mal wieder so ein Fall von "Beeindrucken durch scheinbare Sensationen". Über dieses "Ich habe schon mit 3 Monaten meine erste Beethoven Sonate auswendig gespielt" in Lebensläufen habe ich schon in meinem Podcast gesprochen. Was soll das? Glauben immer noch alle an den Mozart-Wunderkind-Mythos in jedem gott verdammten Musiker? Wem bringt das was? Es gibt genug Leute, die zwar gut spielen, vielleicht auch weil sie so früh angefangen haben, aber es gibt auch wenige, die wirklich gut Musik machen, trotzdem sie so früh angefangen haben. Könnt ihr mir folgen? Was sagt das aus? Erst einmal gar nichts. Dann der zweite Fakt, dass die Presse einen  lobt, weil man so schnell spielen kann. Wer braucht das? Das ist beeindrucken von ahnungslosen Nicht-Musikern. Das ist Leistungssport auf der Bühne und hat nichts mit musikalischem Können zu tun. Das könnte sogar ein Esel, wenn er nicht so große Hufen hätte. Man muss nur lang genug üben. Am besten man fängt mit 6 Jahren an. Und wenn man dann groß genug ist, von seinen Ahnen auf eine Bühne geschliffen zu werden, kann man dann bewundert werden, wie ein Pudel in der Manege oder der stärkste Mann der Welt auf dem Jahrmarkt. Man kann vielleicht sogar der Presse keinen Vorwurf machen. Oft wissen sie einfach nicht, was sie über die Musik schreiben sollen, weil sie keine Fachpresse sind. Also beschränkt man sich auf das Offensichtliche, also die Effekte. Aber es ist das selbe, als würde man einem Fotografen sagen, dass er eine tolle Kamera hat. Nur wenn man dann selbst mit diesen Presseartikel wirbt und sich auch noch deswegen Ausnahmetalent nennt, finde ich das einfach misslungene Werbung für sich selbst. Natürlich muss man sich als Künstler irgendwie verkaufen, damit man auch voran kommt, aber braucht man dafür einen Formulierungen, die klingen, als würden sie die neue Mercedes S-Klasse bewerben? Warum nicht einfach die Musik für sich sprechen lassen? Das Problem daran ist: Man schürt Erwartungen. Und was passiert, wenn der arme Junge irgendwann dahinter kommt, dass es nicht darum geht, am schnellsten zu spielen, sondern den richtigen Ton zur richtigen Zeit? Dann wird sich wohl die Musikerverwandtschaft spöttisch abwenden und meinen, er hätte eine große Karriere vor sich gehabt. Hört endlich auf damit, ein Mozart-Wunderkind-Bild zu malen. Alle machen Musik, sogar mehr, als man glaubt. Und es gibt tausende, die besser spielen, nicht schneller, aber besser. Und um so mehr kommt es darauf an, man selbst zu sein und so zu spielen, wie man selbst es will. Wenn man spielt, um das Publikum zu beeindrucken mit spieltechnischen Effekten, sollte man im nächsten Zirkus die armen Tiere befreien und sich an deren Platz zur Verfügung stellen. Virtuos ist das eine, aber es kann schnell zur Clownerie verkommen.



Hear and Now
zur Fête de la Musique

am 21. Juni
19-20 Uhr
Eintritt frei
ab 21 Uhr Jamsession mit allen Musikern des Tages



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