Montag, 31. Dezember 2012

Ich habe mir lieber zugehört

An vielen Jazzpianisten stört mich, dass sie letztlich nur Skalen, also Tonleitern, wie beim Leistungssport die Klaviatur hoch und runter spielen. Möglichst schnell. Tempo wird damit wichtiger und der einzelne Ton damit unwichtiger. Bei hoher Geschwindigkeit kann das menschliche Gehirn nur noch die Ketten wahrnehmen und nicht mehr den Einzelton, je nach Hörgewohnheit und Gehirnleistungsfähigkeit. Somit können Skalen nur im Gesamten zu Klang werden, nicht aber der einzelne Ton. Wenn einzelne Töne auffallen, dann, weil sie so dissonant sind und das Gehör gar nicht mehr drum rum kommt, sie wahrzunehmen. (Eigentlich müsste man Gehörn sagen, weil letztlich nur das Gehirn hört und das Gehör dazu benutzt.)

Es bleibt die Frage, ob Jazz so unterrichtet wird, das die Virtuosität bzw. die Geschwindigkeit das einzige Mittel ist, sich als guter Jazzer oder besser als andere darzustellen? Sicher, es steckt viel Fleiß dahinter, so geläufig spielen zu können. Aber ich denke nicht, dass die meisten sich auch wirklich mit diesen Fingerübungen ausdrücken wollen. Was sie zu sagen haben, wird hinter rasenden Skalen nicht größer. Vielleicht steckt auch gar nichts dahinter, als der reine sportliche Ehrgeiz, der schnellste zu sein.
Das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Aber man kann auch nicht überprüfen, was Absicht und was Clownerie ist an solch einem Konzertabend.

Mixolydische Skala
Quelle: wikimedia.org

Ich unterrichte musikalische Improvisation auch in enger Anlehnung an Jazztheorie. Jedoch gehe ich nicht unbedingt vom Akkordaufbau. Vielmehr geht es, vor allem wenn der Schüler schon jahrelange Spielpraxis von Kompositionen mitbringt, um das Hören. Das Sich-Selbst-Zu-Hören. Allein dieser Ansatz, das Vertrauen auf sein spielerisches Können und das Sich-Trauen, zu spielen, was man in sich selbst hört, genügt schon gut zu improvisieren. Und auch das bezeichne ich als Jazz. Jazz in seinem Grundgedanken versteht sich als freie Musikform, die zu fast jeder Zeit feste Formen sprengen wollte. Hat dies der Jazz geschafft? Nicht wirklich, denn die Musiker haben nur das System erweitert. Mehr zu gelassen. Das bedeutet nichts anderes, als das Lernen von mehr Tönen und Tonleitern. Mehr Zusammenhängen. Das kann man alles tun und vielleicht wird man virtuos und spielt vor der Jazzpolizei und erntet sogar deren Anerkennung mit mäßigem Applaus und einem Vergleich mit der einen oder anderen Jazzgröße. Aber das hat immer noch nichts mit Hören zu tun.

Ich denke, man kann durch die Beschäftigung mit der "klassischen" Jazzschule sein Material erweitern. Möglichkeiten erkennen und Horiztone sehen. Aber man wird auch da feststellen, dass man sich nur ein anderes Korsett zu gelegt hat. Eines, dass man vielleicht etwas weiter stellen kann. Aber es ist auch nur ein weiterer Dialekt der Musiksprache. Versuche im Freejazz noch freier zu werden und sich ganz dem Klang hinzugeben und nicht der musikalischen Struktur führten nicht zu einer großen Freiheitsbewegung beim Publikum. Vielleicht bei den Musikern.

Um an seinem eigenen Stil zu arbeiten, und das kann ein Ziel im künstlerischen Schaffen sein, muss man sich zunächst selbst zu hören und einfach spielen. Grenzen testen und sich vor allem selbst vertrauen. Irgendwann kann man an dem Punkt sein, zu sagen "Das bin ich. Das ist mein Stil. Und es ist Jazz. Meine Auffassung von Jazz".

Warum erzähle ich das alles? Weil ich erkannt habe, dass das, was ich über Improvisation weitergebe und selbst erfahren habe, sich in Büchern über Jazztheorie wiederfindet, ohne dass ich eines dieser Bücher vorher gelesen habe. Es ist die gleiche intuitive Vorgehensweise, die mit Selbstvertrauen in die eigene künstlerische Arbeit zu tun hat. Musik ist nachwievor etwas intuitives und hat etwas mit Gefühl zu tun. Mit Intellekt hat sie etwas zu tun, wenn man wissenschaftlich analysiert, was passiert ist. Die Musikwissenschaft besetzt diese Nische. Durch Analyse zur Erkenntnis zu gelangen ist ein guter Weg. Und es fühlt sich gut an, immer noch Erkenntnisse zu haben und sie in Büchern wieder zu finden. Ich finde diesen Weg äußerst sinnvoll für mich. Andere lesen vorher viele Bücher, lernen viele Tonleitern und Akkorde auswendig, bevor sie sich selbst zuhören. Nur wenige entwickeln dann noch einen eigenen Stil. Im Gegenteil: Man findet sie Skalen hoch und runter rasend in Jazzclubs mit einer "Vorname Nachname + Besetzung"-Bezeichnung. Und das heißt nicht, dass es nicht ein guter Abend werden kann.

Eine Erkenntnis war für mich in den letzten Wochen sehr entscheiden im Nachdenken über das eigene Spiel: Skalen sind im Grunde nichts anderes als Akkorde und Akkorde sind nichts anderes als Skalen. Ich habe jahrelang gedacht: Irgendwann bist du mal so fleißig und lernst alle Skalen auswendig in allen Tonarten und dann sind deine Improvisationen noch ein bisschen mehr Jazz. Ich war nicht nur zu faul dazu, sondern habe es eigentlich aus einem Grund nicht getan: Ich habe nie verstanden, warum ich etwas auswendig lernen muss, um dann erst sagen zu können, was ich sagen will, um erst dann spielen zu können, was ich will.

Ich habe mir lieber zugehört.

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Wer Lust hat, sich mit der Jazztheorie auseinander zu setzen, dem sei folgendes Buch empfohlen. Es enthält neben gut verständlicher Sprache auch viele Praxisbeispiele, die man nachspielen kann. Um zu Hören, was man verstanden hat ;)


Ein sehr spannender Film über das Leben des Jazzpianisten Michel Petrucciani ist "Leben gegen die Zeit". Sehr bemerkenswert fand ich, dass er sich erst sehr spät für klassische Spieltechnik interessiert hat.



Donnerstag, 6. Dezember 2012

Erwartungen

Was erwarten wir eigentlich von unserem Publikum? Dankbarkeit, tosenden Applaus, Zugabe- und Bravo-Rufe, direktes Feedback, Lob, Autogrammbitten, neue Fans auf Facebook, neue Follower auf Twitter, E-Mails, Direktnachrichten, Weiterempfehlung, Tränen in den Augen vor Vergnügen, lautes Lachen, anerkennendes Nicken, Einträge in Gästebücher, Standing Ovations, anerkennende Artikel in der Fachpresse, Zeitungskritiken, Leserbriefe, Kaufen von Karten für kommende Vorstellungen und Geschenkgutscheine oder nur das Eintrittsgeld?

Montag, 8. Oktober 2012

Die stille Dimension

Bei Hear and Now Dimensions versuchen wir mehrere Ausdrucksformen in einer Gruppenimprovisation zu vereinen. Ein "Ziel" oder "Wunsch" ist es, Musik, Theater und Licht zu verbinden zu einem großen Ganzen. Wir haben von Anfang an festgestellt, dass das eine große Aufgabe ist, stehen uns doch Bühnenkonventionen mehr im Weg, als wir dachten. Hörbare Formen, wie Musik oder verbales Schauspiel, haben tendenziell leichter die Möglichkeit narrativ zu sein. Das könnte daran liegen, dass sie Ausdrucksformen sind, mit denen seit Jahrhunderten Geschichten transportiert werden. Oder habt Ihr schon mal ein Märchen gesehen, dass nur über Licht erzählt wurde? Darin liegt für uns nachwievor die Crux. Für uns stand früh fest, dass wir die Dimensionen möglichst gleichberechtig behandeln wollen auf der Bühne. Dies geschieht unter anderem darin, dass Felder von tutti und solo sich abwechseln können im Verlauf der Improvisation. Ein Solofeld Licht fällt besonders schwer, da der Ausdrucks- und auch nicht zu vergessene Unterhaltungswert, in welcher Art auch immer vom Publikum empfunden und gewünscht, unterschätzt wird. Auch hier heißt es "Stille aushalten können". Es geht um Rhythmus und Tempowechsel, um Melodie und Harmonie, um Wort und Sätze. Nicht nur um das bloße Abbilden von Stimmungen, sondern um Entwicklung und deren Bruch geht es. In den Tutti-Stellen werden Impulse von einer Dimension zur anderen gesendet, verworfen oder aufgenommen. Ein entscheidender Punkt bei Licht ist nicht nur Farbe und damit transportierte Stimunngen und Atmosphären, sondern auch der Hell-Dunkel-Aspekt. Im Theater erleben wir durch Licht an und Licht aus eine Art Regieeffekt. Eine Szene kann durch ein vollständiges Ausschalten der Bühnenbeleuchtung beendet werden, eine neue entsprechend mit Einschalten begonnen werden. Dieser Effekt ist so stark, dass es schwer ist, mit dieser Konvention in der Improvsisation zu brechen. Für Künstler wie für Publikum. Es muss sich also eine andere Haltung zum Licht und dessen Wirkung neben den gewohnten entwickeln. Und das auf beiden Seiten. Da der Künstler immer aber auch zur Rezipientenseite gehört, unterliegt er ebenso Einflüssen dieser Bühnenregeln. Es geht um die Entwicklung eines Selbstbewusstseins, eines Lichtbewusstseins. Wenn ich mir des Effektes bewusst werde und mit ihm entweder bewusst umgehe oder breche, kann ich das Instrument Licht auch als solches einsetzen. Dann sind wir weg vom bloßen Ausleuchten von anderen Akteuren und landen beim Erzählen einer Geschichte durch das Licht mit oder ohne die anderen Dimensionen.

Freitag, 5. Oktober 2012

Hear and Now Solo Konzert 2010

Der erste Teil eines Hear and Now Konzerts, das ich im Jahre 2010 in Berlin gespielt habe, ist online. Viel Spaß beim Gucken und Hören.


Mittwoch, 3. Oktober 2012

Hear and Now Dimensions: Offizieller Trailer

So schnell kann es gehen. Eben noch von zu wenig Blogeinträgen geschrieben und hier kommt schon der nächste in kürzester Zeit. Ich war fleißig und hab heute endlich mal einen Trailer zusammen geschnitten aus dem Material, das schon seit Monaten bei mir auf der Festplatte rumliegt. Herausgekommen ist das hier:



Vielleicht macht es ja Lust auf einen Abend voller Experimente.

Die noch kommenden Termine für 2012:

Freitag, 19. Oktober
Donnerstag, 1. November
Sonntag, 9. Dezember

in der Brotfabrik Berlin
Caligariplatz 1
13086 Berlin Weißensee

Karten: 10/7 Euro
unter karten@brotfabrik-berlin.de oder Tel 030. 47 14 001 oder 47 1 4 002

brotfabrik-berlin.de
hear-and-now.de


Dienstag, 2. Oktober 2012

Neue Podcasts von FrequenzImpro

Seit ca. zwei Wochen sind neue Folgen der Podcastserie FrequenzImpro von frequenz9.de online. Themen sind "Die Oper" und "Die Emo-Achterbahn" im Improtheater. Zusammen mit meinen Kollegen Georg Weisfeld und Thomas Jäkel haben wir diese beiden "Spiele" analysiert und kommentiert.

Ich frage mich seitdem wir diesen und andere Podcasts veröffentlichen, wieviele Leute das überhaupt hören. Verlässliche Statistiken dazu gibt es nicht. So groß sind die Untriebigkeiten von Bots und anderen automatischen Spamverbreitern, die auch unsere Seiten ansteuern. Zugriffszahlen können auch mehr oder weniger zufällig entstehen. Wirklich zuverlässig sind nur direkte Reaktionen, wie Kommentare oder Mails. Aber die haben wir, hoffentlich bisher, nur sehr selten. Damit hängt dann sicher auch die Häufigkeit der Veröffentlichung zusammen. Denn wenn wenig Feedback von Hörern oder Lesern kommt, ist auch die Motivation geringer, den Aufwand zu betreiben. Ähnlich geht es mir mit meinem Blog hier. Aber zu Reizthemen gab es doch Kommentare. Nur sollte so ein Blog mehr gepflegt sein. Ich sollte das in Angriff nehmen. Nur ist es schwer, damit nicht unserem Podcast zu unterwandern. Es gilt vielleicht dennoch der Satz: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." In diesem Sinne versuche ich mich mehr zu disziplinieren, denn es gibt soviel zu sagen.

Samstag, 2. Juni 2012

Podcasts über Improtheater, Kunst und Kulturthemen

Frequenz9

Seit 2010 nehme ich gemeinsam mit Georg Weisfeld Podcasts auf und veröffentliche sie im Netz. Was als Comedy gestartet war, wurde schnell zu Frequenz9 und damit zu verschiedenen Formaten. 





FrequenzImpro

Gemeinsam mit Georg Weisfeld und Thomas Jäkel nehme ich nun schon seit fast einem Jahr kurze How-To Podcasts rund um das Thema Improvisationstheater auf. Wir haben das Ganze FrequenzImpro genannt. Die Folgen handeln von Impro-Basics über Spiele bis hin zu komplexen Zusammenhängen, wie Szenenmusik. Wir peilen pro Folge eine Länge von 20 min an.


frequenzimpro.de





FrequenzKultur


FrequenzKultur ist ein weiterer Podcast unter dem Dach von Frequenz9. Hier diskutieren wir Themen, die Kunst und Kulturschaffen betreffen. Praxistipps, Gäste, Politik und Philosophie findet man in den Folgen, die längere Diskussionen zulassen ohne Zeiteinschränkung.


frequenzkultur.de

Samstag, 26. Mai 2012

Melancholische Musik - Umgang mit Kritik

Ein Thema lässt mich seit Wochen nicht los. Nach der ersten Aufführung von Hear and Now Dimensions, unserer Improvisationsperformance mit Musik, Theaterspiel und Licht, gab es Feedback und Kritik von einer Zuschauerin. Nun muss man erst einmal froh sein, dass man überhaupt nach einem Auftritt Rückmeldung bekommt, außer durch die Applausstärke. Mit Meinungen, die nicht so positiv ausfallen, wie man sie als Künstler gern hätte, muss man jedoch umgehen können. Im Idealfall stoßen sie einen Entwicklungsprozess voran und das taten sie auch in diesem Fall. 

Da hieß es, dass meine Musik "sehr melancholisch" gewesen sei. Was für mich in die Richtung "zu melancholisch" geht und sicher auch so gemeint war. Zumindest bestätigte sich dies im Gespräch nach der Aufführung. Weiter wurde gesagt, dass ja eine Komposition, "beispielsweise von Bruckner", nicht nur eine Farbe hätte, sondern möglichst viel bedient an Gefühlen und Stimmungen. Schlicht fehlte der Zuschauerin also die Abwechslung und sie verglich Äpfel mit Birnen, Komposition mit Improvisation, ein Ziel mit einem Weg. Anscheinend hat sie einen bunten Strauß von Melodien erwartet. Und das ist die Crux: Was ist die Erwartung an einen Abend, an dem ausschließlich improvisiert wird? Sollte ich mir als Improvisateur also vornehmen, möglichst viel anzubieten, damit die geneigte Hörerschaft auch nicht gelangweilt ist, wenn an diesem Abend nur eine Stimmung transportiert wird? Ich verfolge den Ansatz, dass eine Improvisation der Ausdruck des Inneren in genau jenem Moment ist, aus dem dann Musik entsteht. Des Weiteren nehme ich mir als Künstler heraus, einen Personalstil auszubilden, wie ihn im Übrigen auch Bruckner hat. Will heißen: Zuschauer hören Stephan Ziron, genau weil er vielleicht in seinen Improvisationen den Zustand der Melancholie in Musik umsetzt. Es mag Zuschauer geben, die gehen in traurige Filme, um genau dieses Gefühl gespiegelt und bedient zu bekommen. Somit wären wir also wieder bei den Erwartungen. Ich kann sicher nicht voraussetzen, dass jeder Zuschauer meinen Stil kennt und sich vor einem Abend mit meiner Musik auseinander setzt. Aber er muss mir zugestehen, dass ich einen Stil habe und genau in diesem Moment eben von Erwartungen à la Abwechslung in den Stimmungen oder Musikstilen oder was auch immer, gehemmt werde. Das ist nicht mein Ansatz von Improvisation. Und ich bin noch lange nicht dort angelangt, wo ich als improvisierender Musiker  mit meiner Ausdrucksweise sein möchte. Ich möchte - Achtung! - noch viel freier spielen, als ich es jetzt tue. Das bedeutet, dass ich wohl noch weniger einigen Erwartungen entsprechen werde. Aber das bedeutet auch im Umkehrschluss, dass ich um so mehr den Erwartungen der Zuschauer entsprechen werde, die auf der Suche nach der gleichen Stimmung sind, die sie auch haben und die sie gern gespiegelt haben wollen. So etwas kann man Polarisation nennen und das soll es auch sein. Ich möchte kein Künstler sein, über den Leute sagen, dass es nett ist, was er macht. Ich möchte ein Künstler sein, wo Zuschauer sagen "Da gehe ich nie wieder hin!" und "Da gehe ich immer wieder hin!". Alle Grautöne sind für mich der Tod meines Antriebs.

Anton Bruckner widmete Richard Wagner seine 3. Sinfonie
Quelle: wikimedia.org

Eine Komposition mit einer Improvisation zu vergleichen ist schlichtweg Schwachsinn. Eine Komposition kann Jahre dauern. An ihr kann ich tüfteln und sie ausfeilen. An der 3. Sinfonie hat Bruckner fast ein Jahr gearbeitet, bevor er sie am Silvesterabend 1873 vollendete. Und mit diesem Maßstab soll eine Improvisation gemessen werden, die in einer Stunde entsteht? Das spannende an Momentmusik ist doch, mit auf die Reise zu gehen und ihre Entwicklung zu verfolgen. Ob ein furioses Finale am Ende steht, steht zu Beginn nicht fest und das ist das Spannende daran. Ob sie "gelingt", was auch immer das heißt, liegt im ganz individuellen Betrachten jeden einzelnen Hörers, mich eingeschlossen. Und ich bin wahrlich nicht jedes Mal zufrieden mit meinen Improvisationen. Aber dieser Grabenkampf zwischen Improvisation und Komposition existiert seit Jahrhunderten, seitdem es Musik überhaupt gibt. Dabei hatte es die Mutter der Musik, nämlich die aus dem Stegreif erfundene Musik, nie leicht mit dem höchst artifiziellen Musizieren der Tonsetzer mitzuhalten. Sie ist und bleibt eine besondere Erfahrung, ein besonderer Weg für Ausführende, wie für Zuhörer.

Carl Dahlhaus schrieb zum Verhältnis Komposition versus Improvisation folgendes:

„Der Begriff der Improvisation, wie er als abgegriffene Vokabel im Umlauf ist,
ohne daß über ihn reflektiert würde, krankt an dem Mangel, eine primär
negativ, durch den Gegensatz zum Begriff der Komposition bestimmte
Kategorie zu sein: ein Sammelname für musikalische Phänomene, die man aus
dem einen oder anderen Grunde nicht Komposition nennen möchte und darum
einen Gegenbegriff zuschiebt [...] Bildet demnach der Begriff der
Improvisation keine Alternative zu dem der Komposition..., so ist dennoch,
jedenfalls in der europäischen Musik, die eine Kategorie in wesentlichen
Zügen durch den Gegensatz zu anderen bestimmt.“

Dahlhaus, Carl (1979), Was heißt Improvisation?, in: Brinkmann, Reinhold (Hrsg.), Improvisation und neue Musik, Veröffentlichung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt, Band 20,Mainz, S. 9.


Kurzum: Wenn mir nicht zum lächeln zu mute ist und ich melancholisch bin, hilft mir kein "Lächel doch mal". Man muss Zustände aushalten. Und wer meinen Zustand in meiner Improvisation nicht aushält, also mich nicht aushält, denn nichts anderes bin ich dem Moment meiner Improvisation, weiß wo das grüne Schild leuchtet, dass da den Notausgang in Szene setzt.

Dienstag, 20. März 2012

Zum Thema Jazz

Fall jemand aus dem Publikum nochmal "Jazz" fordert, kann man hier sein Hintergrundwissen auffrischen und damit nochmal genauer nachhaken:


Die Geschichte des Jazz und seine Strömungen ist ausführlicher in diesem Standardwerk von Joachim-Ernst Berendt erzählt.



Wer mehr über die gesellschaftlichen Hintergründe von Jazzmusikern und die Zeit, in der einzelne Jazzstile gespielt und entwickelt wurden, kommt nicht um Ekkehart Jost herum. Der sympathische Bariton-Saxophonist und emerritierte Musiksoziogloge der Uni Gießen beschreibt spannend und destailliert die sozialen Gründe und Abgründe des Jazz.



Der Rough Guide Jazz ist ein Personenlexikon für Jazz. Das interessante daran ist, dass in den Einträgen auch Discographien zu finden sind. Somit kann man die wichtigsten Platten auch heute noch nachkaufen ohne lange suchen zu müssen. Das Lexikon liest sich sehr angenehm und bleibt somit nicht nur ein Nachschlagewerk.



Jazz-Standards werden populäre Songs und Jazzstücke genannt, die immer wieder neu von Musikern interpretiert werden. Bis heute ist das spielen und improvisieren von und über bekannten Melodien gängige Praxis in den Jazzclubs. 320 Songs werden in diesem Buch vorgestellt, ihre Entstehungsgeschichte erzählt und amüsant interpretiert. Ebenfalls nicht dröge für ein Lexikon, sondern angenehme Lektüre nicht nur zum Nachschlagen!



Eines meiner absoluten Lieblingsbücher über Jazz. Vielleicht weil es eigentlich kein Buch über Jazz, sondern aus Jazz ist. Der Roman handelt von Jazzmusikern und wird von ihnen erzählt. Manche Geschichten in diesem Roman sind sicherlich wahr, einige frei erfunden. Aber der Autor schafft es herrlich die Atmosphäre des Jazz zu zeichnen. Ein sehr berührendes Buch.

Freitag, 2. März 2012

Gold oder Scheiße

"Gold oder Scheiße [...] das ist der Preis, den man dafür bezahlt, dass man sich nicht mit tradierten Formen, fixierten Abläufen und vorgeschriebener Gestaltung verbündet."

Jean Dubuffet


S. 31 in:

Samstag, 18. Februar 2012

Bist du ein guter Pianist?

Diese Frage wurde mir vor einigen Tagen gestellt. Und die Antwort, die ich selbst darauf geben könnte, ist eine der schwersten. Kann ich selbst überhaupt einschätzen, wie gut ich als Künstler bin? Es stellt sich schnell die Frage "Für wen bist Du Künstler? Für wen machst Du Kunst?". Diejenigen, die sich angesprochen fühlen durch mein Schaffen, haben eine Meinung zu meinem Können und vergleichen. Es gibt in meinem Kunstschaffen zwei Teile, für die ich schaffe: Ich selbst und andere. Auch wenn es egoistisch und abweisend klingt, in erster Linie spiele ich für mich selbst. Um der Befriedung meines Ausdrucksbedürfnisses willens. Aber pure Selbstbefriedigung ist es damit nicht. Der Zuhörer oder Zuschauer ist mir nicht egal. Wenn er da ist, spiele ich für mich und ihn. Aber wenn er nicht da ist, hab ich immer noch mich selbst. Dann kann ich sagen "Ja, ich bin ein guter Pianist."

Donnerstag, 2. Februar 2012

Hear and Now Dimensions - Improvisationsperformance ab April

Kreative Pausen sind wichtig. Das hatte ich hier auch schon einmal verbloggt. In den Pausen kann man Inspirationen sammeln und sich mit Leuten zusammen schließen. So ist es geschehen. Gemeinsam mit M. John, Thomas Jäkel und Manou Voigt habe ich mein Konzept von Hear and Now - meinem improvisierten Klavierkonzert - erweitert um die Dimensionen Schauspiel und Licht. Daher auch der Name Hear and Now Dimensions.

Dieses veränderte Konzept hat einen starken Performance-Charakter und dies ist auch so beabsichtigt. Eine Symbiose der Kunstformen, die sich zwischen den Welten bewegt und nicht vorhersehbar, nicht vorherhörbar ist. Klangwelt, Sprache, Bewegung und Lichtstimmung malen in den Köpfen ein Bild, das im Hier und Jetzt entsteht. Theater oder Konzert? Konzert oder Theater? Eine Improvisation verschiedener spontaner Künste, die sich zu einem großen Ganzen schließen soll.


M. John und Thomas Jäkel (Theater ohne Probe) improvisieren mit den Mitteln des Theaters gemeinsam mit mir. Es entsteht ein Dialog, Monologe, Geschichten, Kollagen, Bewegungen, Mimik, Gestik. Dies ergänzt das Bild, dass durch die Musik im Kopf entsteht und bringt es vor das Auge. Eine weitere Dimension wird geschaffen. Kein gewöhnliches Improtheater, sondern vielmehr improvisiertes Theater. Keine Show, kein WarmUp oder Einzählen. Eben kein Improtheater, wie gewohnt.

Manou Voigt am Licht nimmt bewusst Einfluss auf das Geschehen, lässt Stimmungen entstehen und taucht das Bild von Musiker und Schauspiel in Licht. Gibt vor oder malt aus. Eine weitere wichtige Dimension, die wir berücksichtigen und mitwirken lassen wollen.

Hear and Now Dimensions ist ein Versuch die Sinne und Kunstformen zu vereinen, die sich ebenso der Improvisation bedienen und somit mit ihren Techniken im Moment spielen. Das Publikum hat die Wahl Zuhörer und/oder Zuschauer zu sein. Nicht der Beginn einer weiteren Improgruppe, die Improtheater spielt, sondern eine Performance, die zeigen will, dass es auch andere Facetten der Improvisation mit musikalischen und theatralen Mitteln gibt.

Premiere am 5. April 2012

Brotfabrik Berlin
Caligariplatz 1
13086 Berlin Weissensee



Größere Kartenansicht

Beginn: 20 Uhr
Eintritt: 10/7 Euro
Karten reservieren unter karten@brotfabrik-berlin.de

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hear-and-now.de
brotfabrik-berlin.de

Donnerstag, 12. Januar 2012

Welches Instrument für den Szenenanfang?

In der Improshow gestern fiel mir auf, dass ich in einer Falle sitze. Ich war der Meinung, dass es besonders geeignete Instrumente oder Geräusche gibt, die eine Szene einleiten können. Bis gestern. Es hat sich eingeschlichen und gefestigt, wie mir auffiel. Nun kann ich einen großen Anteil dem Showformat geben, in dem Improspiele und auf Gag gespielt wird. Aber auch hierbei muss es möglich sein der Routinefalle zu entkommen. Es ist schlichtweg falsch, dass es Instrumente gibt, die besonders gut eine Szene einleiten.

Grafik: sxc.hu
Aber ganz von vorn. Will ich eine Szene ohne etwas markantes, allein vom Klang her, einleiten, dann wähle ich meist Klavier, E-Piano, Gitarre, Vibraphon. Selten Orgel, Streicher, charakteristische Soloinstrumente wie Violine, Saxophon, Trompete oder gar Synthesizersounds. Warum? Ich habe an mir beobachtet, dass ich der Szene innerhalb dieses rein auf Entertainment und Spiele angelegte Format einen seichten Einstieg geben will. Sprich: Nichts zu bestimmendes. Warum? Weil ich hier eher den Spielern folge und nach Jahren, die ich dieses Format spiele, lieber abwarte, was von den Spielern am Anfang kommt. Oder anders herum gesagt: Ich habe einfach zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, wenn ich zu Beginn einer Szene oder eines Spiels einen musikalischen Vorschlag gemacht habe. Mit der eintretenden Routine bin ich nun an dem Punkt, dass ich sogar fast immer die gleichen Instrumente zu Szenenbeginnen einsetze.

Das muss sich ändern!

Denn die Falle ist bei der Improvisation immer die Routine, die vielleicht sogar dem Publikum irgendwann auffällt. Es ist schlichtweg nicht mehr improvisiert. Nicht aus der Inspiration und dem Moment geboren. Auch wenn ich nicht extakt die gleichen Töne oder Harmonien spiele, so sind wiedererkennbare Sounds und Instrumente in ihrer routinierten Wiederkehr an fast immer der selben Stelle, nämlich dem Szenenbeginn, doch eine Routine, die ich als Improvisateur nicht haben will. Diese Unzufriedenheit und Erkenntnis der Klangroutine habe ich als Schwäche erkannt und will geändert werden. Wieder mehr wagen und mehr improvisieren. Auch im Klang! Und damit das Risiko eingehen, dass Spieler und ich selbst überrascht sind, von dem was dort im Moment aus der Inspiration heraus entsteht: Improvisation.

PS: Ich spiele eine Roland GW-8 Workstation.